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Michael Hüther Gastbeitrag 20. November 2008

Keine neue Rolle für den Staat

Die Finanzkrise erschüttert nicht die grundlegenden Regeln unserer Ordnung.

Weltfinanzkrise, Rezession in allen Wirtschaftsräumen und Strukturkrise in einzelnen Branchen: Alles kommt diesmal zusammen. Scheinbar nirgends tut sich das rettende Ufer auf, das einem aus Erfahrung oder aufgrund theoretischer Einsicht die Aussicht auf eine Besserung eröffnet. Die Botschaft Hölderlins „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ findet gegenwärtig keine überzeugenden Belege. Man versucht stattdessen wohl besser, sich mit Wilhelm Busch zu erbauen, nach dem Motto „Wer Sorgen hat, hat auch Likör“.

In solcher Zeit fällt es schwer, Orientierung zu halten, und es fällt erst recht schwer, Orientierung zu finden. Dabei gibt es nun viele, die so oder so alles schon vorher gewusst haben. Das gilt für Ökonomen, die offenkundig hellseherisch die Insolvenz von Lehman Brothers vorhersahen, und es gilt ebenso für marktkritische Politiker, die aus moralischer Gewissheit, zu den Guten zu gehören, die Erkenntnis ableiteten, dass alles früher oder später den Bach runtergehen müsse. Aus der Gewissheit der Erkenntnis wächst schnell die Gewissheit der notwendigen Remedur.

Der Staat wird scheinbar neu erfunden. Hell leuchtet die Forderung, ihn nun endlich zum starken Staat zu machen. Zugleich wird Häme über jene ausgeschüttet, die als Neoliberale durch die Forderung nach Deregulierung und Privatisierung schwere Verantwortung an seiner Schwächung trügen. Ignoriert wird, dass die Neoliberalen sich in den dreißiger Jahren aus der Erkenntnis zusammenfanden, dass eine unregulierte Ökonomie nicht stabil und der starke Staat – so Alexander Rüstow 1932 – eine notwendige Bedingung der Freiheitsgesellschaft ist.

Dies bedingt jedoch geradezu, dass der Staat stetig seine Fitness erweisen muss. Auch hat er sich unter den Bedingungen des technisch-organisatorischen Fortschritts laufend zu prüfen, ob er die Aufgaben der Freiheitssicherung und der Ermöglichung fairer Teilnahmechancen effizient und effektiv erfüllen kann. Diese intellektuelle Herausforderung ist für viele Beteiligte nicht zu bestehen, die den Fürsorge- und Versorgungsstaat nicht als Ausdruck spezifischer historischer Voraussetzungen begreifen, sondern als quasi übernatürliche Erscheinung mit Ewigkeitsgarantie.

Ebenso gilt, dass die Ordnungsprinzipien der Marktwirtschaft auf ihre Tragfähigkeit unter veränderten Bedingungen zu prüfen sind. Walter Euckens Systematik der konstituierenden und der regulierenden Prinzipien ist dafür bis heute wegweisend. Zu den konstituierenden Elementen zählen ein funktionsfähiger Preismechanismus als Grundprinzip, eine Geldpolitik, die zu verlässlicher Preisniveaustabilität führt, offene Märkte, Privateigentum, Vertragsfreiheit, Haftung und die Konstanz der Wirtschaftspolitik.

Sie zielen darauf, die Spielregeln für alle Teilnehmer zu definieren. Das trägt unverändert.

Wie aber sind angesichts der aktuellen Entwicklungen die regulierenden Prinzipien zu bewerten, die denkbaren Verwerfungen einer funktionsfähigen Wettbewerbsordnung Rechnung tragen sollen? Bei Eucken finden wir folgende Punkte: Eine durch eine unabhängige staatliche Monopolaufsicht gesicherte Wettbewerbsordnung, eine über die steuerliche Progression herbeigeführte Einkommenspolitik, eine Korrektur negativer externer Effekte einzelwirtschaftlichen Handelns und schließlich auch die subsidiäre Definition eines gesellschaftlich akzeptierten Mindesteinkommens.

So sollte sichergestellt werden, dass Krisen und tiefe Verwerfungen, wie wir sie derzeit erleben, gar nicht erst zustande kommen. Tatsächlich aber kann die Geschichte der Weltfinanzkrise entlang vieler nicht eingehaltener Ordnungsprinzipien geschrieben werden: Das Haftungsprinzip wurde auf den Kredit- und Verbriefungsmärkten außer Kraft gesetzt, die laxe Geldpolitik in den USA hat ebenfalls eine herausragende Bedeutung.

Nur, was soll geschehen, wenn es doch zur Krise kommt? Dass der Staat dann in der Verantwortung ist, kann den Ordnungsprinzipien nicht entnommen werden.

Wozu gründen wir den Staat? Er soll das kooperative Miteinander der Gesellschaftsmitglieder durch Regeln und Sanktionen sicherstellen und für die Bereitstellung öffentlicher Güter sorgen. Er ist zugleich eine Versicherung für jene Notlagen oder Zusammenbrüche, die wegen ihrer Dimension weder der Einzelne noch eine Gruppe privat versichern können und die existenzielle Folgen hätten. Krieg, Terror und systemische Krisen im ökonomischen System sind solche Fälle.

Hier kann nur der Staat wirksam agieren, durch die Rettungsaktion für die Finanzmärkte ist ihm daher keine neue Rolle zugewachsen.

Wie aber, so ist schließlich zu fragen, soll die Politik unter den Bedingungen der Krise handeln? Sicher, die genannten Ordnungsprinzipien dürfen nicht beschädigt werden. Doch damit kann man existenzielle Fragen kaum beantworten. Die angebotspolitische Konzeption des Sachverständigenrats hat immer eine klare Position enthalten: Bei Veränderungen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, die so abrupt sind, dass sie die Anpassungsflexibilität der Angebotsseite zu überfordern drohen, ist die Politik gefordert.

Bei einer Kumulation von Krisen darf sie sich nicht verzetteln. Sie sollte sich grundsätzlich nicht in den Dienst einzelner Branchen oder Unternehmen stellen. Dennoch muss die Kraft bestehen, Einzelfälle mit weitreichenden wirtschaftlichen Konsequenzen zu würdigen, wenn die Probleme nicht aus der Geschäftsstrategie oder der Marktentwicklung resultieren. Krisen lassen oft keine einfachen Antworten zu, und manchmal steht man nur noch auf den Fransen des Teppichs der Ordnungspolitik. Die konstituierenden Prinzipien müssen eben stärker beachtet werden. Nur so können sie ihre präventive Wirkung entfalten.

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