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Michael Hüther Gastbeitrag 14. August 2008

Kein Grund zur Panik

Angesichts einer robusten Wirtschaftslage spricht derzeit nichts für kurzfristige Konjunkturprogramme.

Seit gestern haben wir es amtlich: Im zweiten Quartal ist die gesamtwirtschaftliche Leistung gegenüber dem Vorquartal und bereinigt um jahreszeitliche Besonderheiten geschrumpft, und zwar um 0,5 Prozent. Wenn auch im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum kalenderbereinigt noch ein Zuwachs von 1,7 Prozent bleibt, so wird vielfach nun die Rezession ausgerufen werden. Denn nach den Frühindikatoren erscheint es durchaus plausibel, auch für das laufende dritte Quartal eine wenn auch leichte Schrumpfung zu erwarten.

Zwei Quartale mit rückläufiger Wirtschaftsaktivität hintereinander – damit ist die technische, zugleich populäre Definition von Rezession erfüllt. Diese wegen ihrer Schlichtheit beliebte und medial gut verwertbare Begriffsklärung ist inhaltlich wenig gehaltvoll. Konzediert sei, dass eine Schrumpfung gesamtwirtschaftlicher Aktivität in jedem Fall besondere Aufmerksamkeit erfordert. Jedoch: Schrumpfung ist nicht gleich Schrumpfung. Wer nur auf die laufenden Raten zweier Quartale schaut, der ignoriert Zufälligkeiten ebenso wie die überlagernde Wachstumsperformance.

Die ersten zwei Vierteljahre 2008 sind nur gemeinsam sinnvoll zu deuten. Die Schwäche des zweiten reflektiert die auffällige Stärke des ersten Quartals, die durch Sondereffekte wie den sehr milden Winter geprägt war. Zudem zeigt die auch jetzt erfolgte Revision früherer Daten, dass wir weit von einem definitiven Befund entfernt sind. Ein Präjudiz für eine Rezession – verstanden als kumulativer Absturz von Produktion und Beschäftigung – ist das jedenfalls nicht. Zu bedenken ist ferner: Jede kurzzeitige Windung der Konjunktur ist in mittelfristige Trends einzuordnen.

Der Sachverständigenrat nahm deshalb früher auf das gesamtwirtschaftliche Produktionspotenzial Bezug. Die Relation zwischen tatsächlicher Produktion und der ökonomisch optimalen Ausnutzung der Kapazitäten firmiert als Auslastungsgrad. Die Normalauslastung als langjähriger Durchschnitt wurde zur Orientierungsgröße, um den Stand im Konjunkturzyklus gehaltvoll ermitteln zu können. Eine Rezession liegt danach vor, wenn die Auslastung des Potenzials zurückgeht und unter ihren Normalwert sinkt.

Bewegt sich die Volkswirtschaft oberhalb der Normalauslastung, dann beschreibt die Reduzierung gesamtwirtschaftlicher Aktivität zwar eine Anpassung, die von einem Absturz jedoch weit entfernt ist. Dieses Konzept, das Konjunktur und Wachstum zusammen sieht, ist medial zweifellos nicht leicht vermittelbar. Doch die mühsamere Analyse darf deshalb nicht unterbleiben. Die Leser dieser Kolumne haben einen Anspruch auf solche Zumutung. Denn wir sollten gemeinsam ein Interesse daran haben, wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf gut begründet zu ermitteln.

Derzeit sind – nimmt man die Berechnungen des Sachverständigenrates und die laufenden Ifo-Erhebungen – die Kapazitäten der deutschen Wirtschaft gut und überdurchschnittlich ausgelastet. Die Reichweite der Auftragsbestände ist ebenfalls noch groß. Bei allen Sorgenfalten mit Blick in die Vereinigten Staaten zeigt die gerade veröffentlichte Umfrage bei den deutschen Außenhandelskammern, dass der Export auch im kommenden Jahr mit sechs Prozent kräftig und kaum schwächer als in diesem Jahr wachsen wird.

Der deutsche Anteil am Welthandel wird konstant bleiben, was die weiterhin hohe Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen testiert.

Die konjunkturelle Schwäche trifft auf einen Arbeitsmarkt, der seit Anfang 2006 einen starken Beschäftigungsaufbau erlebt. Allerdings künden erste Signale auch hier vom Ende des Aufschwungs, so lag die Anzahl der offenen Stellen im zweiten Quartal um 15000 unter dem Wert des Vorquartals. Allerdings sind insgesamt immer noch über eine Million Stellen unbesetzt. Strukturell bleibt der Fachkräftebedarf erhalten, der zusammen mit der Erfahrung generell schwieriger werdender Rekrutierung die Unternehmen beim Abbau von Beschäftigung vorsichtig sein lässt.

Die begonnene Korrektur bei den Rohstoffpreisen – rund 20 Prozent Rückgang in vier Wochen – wird an der Inflationsfront Entlastung schaffen und den Zinserhöhungsdruck mindern, der auf den Zentralbanken lastet. Dies wie auch die Stärkung des US-Dollars hilft, die zyklische Anpassung abzufedern. Dennoch wird sich die Wirtschaftspolitik – vor allem mit zunehmender Annäherung an das Wahljahr – immer stärker zu Hilfsmaßnahmen veranlasst sehen. Dabei sind nur strukturell wirksame Maßnahmen nachhaltig, wie die jüngste Erfahrung lehrt.

Dass der Aufschwung der letzten Jahre auch das Produktionspotenzial der deutschen Volkswirtschaft von gut einem Prozent auf wieder 1,75 Prozent steigern konnte, ist nach Analysen des Sachverständigenrates und des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln spürbar auch der Reformpolitik ab 2003 geschuldet. Vor allem die Veränderungen am Arbeitsmarkt zeigten hier ihre Wirkung. Daran sollte weitergearbeitet werden, beispielsweise durch mehr Flexibilität bei der Befristung von Arbeitsverträgen und eine weitere Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung.

Für kurzfristige nachfrageseitige Programme spricht derzeit nichts. Die allfällige Forderung nach einer laxen Geldpolitik verkennt die Bedeutung glaubwürdiger Stabilitätsorientierung für das Wachstum. Die populär gewordenen Vorschläge, wie in den Vereinigten Staaten Steuererstattungsschecks zu versenden, ignorieren deren Misserfolg. Die so verteilten Steuergeschenke haben das Staatsdefizit um 80 Milliarden USDollar erhöht, den privaten Konsum aber um weniger als 20 Milliarden Dollar beflügelt. Wir brauchen kein Strohfeuer, wie müssen stattdessen hart am Wachstumsfundament arbeiten.

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