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Jürgen Matthes auf Focus Online Gastbeitrag 28. Mai 2022

Wenn sich deutsche Firmen aus Xinjiang zurückziehen, hilft das den Menschen nicht

Die Xinjiang-Leaks offenbaren in einem historischen Ausmaß grausame Verbrechen an Uiguren in China. Trotzdem dementiert die chinesische Regierung diese Gräueltaten weiterhin. Wie also darauf reagieren? Zehn Empfehlungen von IW-Ökonom Jürgen Matthes für die deutsche und internationale Politik.

Neue und noch klarere Indizien aus chinesischen Quellen scheinen die eklatanten Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang gegenüber den Uiguren klar zu belegen. Trotzdem dementiert die chinesische Regierung weiterhin. Wie sollen Deutschland, die EU und die Weltgemeinschaft reagieren?

1. Aufklärung durch die Vereinten Nationen (VN)

China muss dazu gebracht werden, eine objektive Untersuchung durch die VN zuzulassen und dazu den Zugang zu den vermeintlichen Bildungseinrichtungen erlauben, die vermutlich Gefängnisse und Zwangsarbeits-Lager sind.

2. Weitere Sanktionen

Wenn sich die Vorwürfe erhärten, sollten EU und USA weitere Sanktionen erheben gegen Vertreter von Politik und Verwaltung in Xinjiang und in der chinesischen Regierung, denen eine klare Beteiligung nachgewiesen werden kann.

3. Mehr Prüfung und Transparenz

Deutsche Firmen in Xinjiang müssen bei möglichen Menschenrechtsverstößen noch genauer hinsehen, ihre Erkenntnisse der Bundesregierung zugänglich machen und bei begründetem Verdacht Geschäftsbeziehungen kappen. Ein genereller Rückzug aus Xinjiang würde den Menschen dort jedoch nicht helfen, weil europäische Firmen relativ gute Arbeitsbedingungen und Einkommensmöglichkeiten bieten.

4. Abhängigkeit von China verringern

Europa und vor allem Deutschland sind auf der Import- und Absatzseite zu abhängig von China. Das schränkt den Handlungsspielraum von Politik und Firmen stark ein. Deutsche Unternehmen müssen schon im Eigeninteresse bei einer China-Krise überlebensfähig sein. Denn eine Eskalation der geopolitischen Lage ist nicht mehr ausgeschlossen, falls China (wie bereits vage angedroht) in Taiwan einmarschieren würde. Nicht jede Gewinnmöglichkeit in China muss genutzt werden.

5. Mehr Diversifizierung ermöglichen

Mehr Handel mit anderen Partnern beim Import und auf der Absatzseite ist auch dringend nötig, um die Abhängigkeit zu verringern. Dabei können vor allem die großen und dynamischen ASEAN-Ländern wie Malaysia, Indonesien, Thailand und den Philippinen wichtige Partner sein.

6. EU muss bei Freihandelsverhandlungen flexibler werden

Die EU – und vor allem das Europäische Parlament – stellen so hohe Anforderungen an Umwelt- und Sozialstandards, dass diese ASEAN-Staaten darauf nicht eingehen wollen und keine Handelsabkommen zustande kommen, die die gewünschte Diversifizierung ermöglichen würden. Ein Kompromiss könnte vorsehen, dass eine allmähliche, aber kontinuierliche Verbesserung der Standards vereinbart wird und die Handelsöffnung der EU daran gekoppelt wird.

7. Ausschluss Chinas von kritischer Infrastruktur

Auch Deutschland muss chinesische Anbieter wie die meisten anderen EU-Staaten konsequent von der kritischen Infrastruktur ausschließen. Das gilt vor allem für das 5G-Telekommunikationsnetz. Denn Spionage- und Sabotagemöglichkeiten lassen sich nicht sicher ausschließen und würden bei einer geopolitischen Eskalation zu einer großen Verwundbarkeit Deutschlands führen.

8. EU gehört klar an die Seite der USA

Die mutmaßlichen Menschenrechtsverstöße Chinas wie auch die Unterwanderung der Welthandelsordnung durch massive chinesische Subventionen zeigen klar, dass China sich immer mehr seine eigenen Regeln schreibt. Berlin und Brüssel müssen zwar die Kommunikationskanäle mit Peking offenhalten. Doch die Zeit einer Äquidistanz zwischen den Amerika und China ist vorbei. Stattdessen sollten Deutschland und die EU gemeinsam mit den USA und anderen westlichen Partnern mit Nachdruck auf China einwirken, sich stärker als kooperativer Partner in der Welt zu zeigen.

9. Vorsicht mit neuen handelspolitischen Instrumenten

In der EU soll ein Anti-Zwangsarbeits-Handelsinstrument neu geschaffen werden, mit dem die Einfuhr von Waren in Verbindung mit Zwangsarbeit unterbunden werden soll. Auf den ersten Blick ist das nachvollziehbar. Doch da der Nachweis schwierig ist, droht gerade für kleine und mittlere Unternehmen erhebliche zusätzliche Handelsbürokratie und möglicherweise auch schwer kalkulierbare Haftungsrisiken, wie die deutschen und europäischen Lieferkettengesetz zeigen. Zudem ist sehr fraglich, ob sich China von solch einem Schritt beeindrucken lässt und in Xinjiang etwas ändert.

10. China an den Pranger stellen

Wenn sich der starke Verdacht der massiven Menschenrechtsverletzung in Xinjiang bestätigt, müssen Deutschland und die EU China immer wieder vor der Weltöffentlichkeit an den Pranger stellen. Das ist vermutlich der effektivste Hebel, um die chinesische Regierung zu einer Kursänderung zu bewegen. Denn sie ist eigentlich sehr um ein gutes Image in der Welt bemüht.

Zum Gastbeitrag auf focus.de

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