Die EU sollte sich auf das im Jahr 2020 verhandelte Investitionsabkommen mit China nicht einlassen. Inzwischen überwiegen wirtschaftlich wie politisch die Nachteile daraus, meint IW-Außenhandelsexperte Jürgen Matthes.
Vorsicht beim Abkommen mit China
China scheint bereit zu sein, die Gegensanktionen gegen EU-Parlamentarier und chinakritische europäische Wissenschaftler zurückzunehmen, wenn die EU das Ende 2020 ausverhandelte bilaterale Investitionsabkommen CAI ratifizieren würde. Die Chinesen stellten europäischen Unternehmen wie etwa Chemiekonzernen damals einen verlässlicheren Marktzugang in Aussicht. Das Abkommen kam jedoch nicht zustande, weil ein Streit mit der EU über die Wahrung der Menschenrechte in China eskalierte.Auf eine Ratifizierung des 2020 verhandelten Abkommens sollten die EU und Deutschland sich nicht einlassen, da die Nachteile des CAI inzwischen größer sind als die Vorteile. Das bilaterale Investitionsabkommen CAI (für EU China Comprehensive Agreement on Investment) würde gewisse, aber nur eng begrenzte Chancen bringen:
Es wäre zwar ein kleiner Schritt zu mehr Reziprozität beim Marktzugang für europäische Investoren in China. Das CAI würde vorwiegend bereits bestehende unilaterale Liberalisierungen Chinas lediglich festschreiben und dadurch etwas mehr Rechtssicherheit bieten. Es ermöglicht aber kaum zusätzliche Liberalisierung. Das große Ungleichgewicht beim Marktzugang im Vergleich zur EU bliebe weitgehend erhalten.
Für einige Firmen sind die Vorteile des CAI nur wenig relevant, weil sie ohnehin kräftig in China investieren und ihre Aktivitäten stärker lokalisieren. Ihnen stehen dort die Türen weit offen, weil sie für China interessante Technologien mitbringen oder gar neueste Forschung in China betreiben. Andere, gerade mittelständische Firmen müssen hingegen feststellen, dass das Geschäftsumfeld in China immer schwieriger geworden ist.
Selbst für diese Firmen hätten vertragliche Zusagen Chinas für eine gewisse Verbesserung der Investitionsbedingungen nur begrenzten Wert. Die chinesische Bürokratie kennt viele Wege, es EU-Firmen schwerer zu machen. Das CAI ändert daran nichts Wesentliches, auch weil es nur einige Regulierungsbereiche betrifft.
Das vorsichtig signalisierte Entgegenkommen Chinas in schwierigen Zeiten ist diplomatisch durchaus positiv zu werten und wäre ein bemerkenswerter Schritt. Doch gerade hier kommen gewichtige Gegenargumente ins Spiel. China versucht, die EU gezielt von einem noch stärkeren Schulterschluss mit den USA abzuhalten. Im zunehmenden Systemkonflikt mit Peking wäre es jedoch ein Affront gegenüber Washington, wenn Brüssel und Berlin nun das CAI mit wehenden Fahnen beschließen würden.
Anders als unter der Trump-Regierung ist die Biden-Administration gerade auf vielen Ebenen dabei, Verbündete zu suchen, etwa im Rahmen der G7. Es hat nichts mit (von Präsident Macron unterstelltem) vermeintlichem Vasallentum gegenüber den USA zu tun, wenn sich die EU gegen das CAI wenden würde, sondern mit eigenen strategischen Interessen.
Selbst Russlands Angriffskrieg hat Peking keineswegs von seiner "grenzenlosen Freundschaft" mit Moskau abgebracht. Hinzu kommen weitere gravierende Probleme, nicht zuletzt sein umfassender Handelsboykott gegenüber Litauen und seine militärischen Drohungen gegenüber Taiwan. Vor diesem Hintergrund sollte die EU die Türen für Gespräche mit China zwar weiter offen halten. Eine engere Bindung an China mit dem CAI erscheint aber strategisch problematisch.
Das CAI wäre auch aus wirtschaftlichen Gründen kontraproduktiv - und ein falsches Signal mit Blick auf die ausstehende China-Strategie der Bundesregierung. Die Abhängigkeiten mancher Firmen von China sind bereits jetzt hoch. Das CAI würde die Investitionsanreize in China noch weiter erhöhen. Damit würde es die politischen Bestrebungen zu mehr Diversifizierung gegenüber China konterkarieren, wie etwa die zu Recht restriktivere Vergabe von Investitionsgarantien.
Sollte China tatsächlich offiziell signalisieren, die Gegensanktionen gegen EU-Parlamentarier und chinakritische europäische Wissenschaftler zurückzunehmen, werden sich die Brüsseler Institutionen wieder mit dem CAI beschäftigen müssen. Alles andere wäre ein diplomatisches No-Go. Doch weil sich die Geschäftsbedingungen in China seit Ende 2020 insgesamt eher verschlechtert haben, würde das CAI in seiner vorliegenden Fassung bei Weitem nicht ausreichen. Es wären Neuverhandlungen nötig. Die Präsidentin der Europäischen Kommission hat dies in ihrer jüngsten Rede zu China richtigerweise bereits deutlich gemacht.
China scheint bereit zu sein, viel politisches Kapital zu investieren, um die EU wieder positiver zu stimmen. Das gibt der EU gewisse Hebel in die Hand. Sie sollte sie aber auf andere Weise als mit dem CAI nutzen.
Chinas Rolle als Friedensstifter im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist noch weiter ausbaufähig. Vor allem aber werden Chinas Wettbewerbsverzerrungen durch industriepolitische Subventionen zu einem immer größeren Problem für die EU. Daher sind möglichst schnell bessere multilaterale Handelsregeln im Rahmen der WTO nötig. Die EU sollte China daher zu konstruktiven und schnellen Verhandlungen darüber bringen.
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