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Jürgen Matthes im Handelsblatt Gastbeitrag 21. August 2015

Schuldenschnitt ohne Schmerzen?

Eine Verschiebung der Schuldentilgung um Dekaden kann so gestaltet werden, dass sie für den Rettungsschirm nicht zu Verlusten führt, schreibt IW-Ökonom Jürgen Matthes im Handelsblatt.

Der Bundestag hat das dritte Hilfspaket für Griechenland mehrheitlich beschlossen. Doch Athens Schuldenberg gilt bei den internationalen Organisationen unter den gegenwärtigen Bedingungen als nicht mehr tragfähig. Zudem ist der Internationale Währungsfonds - anders als von der Bundesregierung gewünscht - noch nicht an Bord.

Der Fonds will sich aber nur am Hilfspaket beteiligen, wenn es zu einer hinreichenden Schuldenerleichterung für Griechenland kommt. Diskutiert wird vor allem über ein Hinausschieben der Tilgungszahlungen über mehrere Jahrzehnte. Viele Experten sehen das kritisch, weil diese Maßnahmen – so die These - zu Lasten der europäischen Steuerzahler gehen würden. Aber stimmt das wirklich? Oder wird die Öffentlichkeit hier letztlich in die Irre geführt?

Die Kritiker argumentieren in zwei Richtungen:

  • Zum einen wird ein Hinausschieben der Tilgung als „Schuldenschnitt“ angesehen und explizit oder implizit suggeriert, dass dies die deutschen und europäischen Steuerzahler belasten würde.
  • Zum anderen gibt es die Vorstellung, dass die späte – von der Inflation wertgeminderte - Schuldenrückzahlung durch Griechenland eine Lücke in den Kapitalstock des ESM reißen würde. Zukünftige Generationen von europäischen Steuerzahlern müssten den ESM dann mit viel Geld rekapitalisieren.

Beide Überlegungen sind sachlich nicht vollständig richtig – zumindest nicht, solange Griechenland die laufenden Zinskosten des Euro-Rettungsschirms weiterhin trägt und seine Schulden letztlich in ferner Zukunft vollständig begleicht.

Zu Punkt 1: Finanzmathematisch bedeuten ein Hinausschieben der Schuldenrückzahlung in der Tat eine Forderungsminderung für die Gläubiger, weil der sogenannte abgezinste Barwert der Hilfskredite sinkt. Man mag dies als „Schuldenschnitt“ bezeichnen, obwohl mit diesem Begriff normalerweise eine Kürzung der ausstehenden Schuld gemeint ist, etwa wenn Griechenland nur die Hälfte der bestehenden Schulden zurückzahlen müsste.

Die finanzmathematische Sichtweise ist rein rechnerisch richtig, aber die explizite oder implizite Unterstellung, dass ein solcher „Schuldenschnitt“ auch zulasten der europäischen Steuerzahler gehen würde, ist es nicht. Warum nicht? Dazu müssen wir uns fragen, was der eigentliche Sinn der Hilfskredite ist. Sie sind nicht wie bei kommerziellen Krediten dazu gedacht, dass Rettungsschirm und Geberländer damit Gewinn machen. Wäre eine Gewinnabsicht das Ziel, würde eine Minderung des Barwertes tatsächlich eine geringere Kreditrendite und damit einen „Verlust“ bedeuten.

Doch bei den Hilfskrediten geht es darum, dass für die Geberländer mit den Hilfskrediten möglichst keine „echten Verluste“ entstehen. Das ist ein entscheidender Unterschied. Ein geringerer Gewinn ist in diesem Sinne kein „echter Verlust“.

„Echte Verluste“ für den Rettungsschirm und damit auch die Geberländer würden entstehen, wenn der Rettungsschirm, der sich wie eine Bank ja selbst am Kapitalmarkt verschuldet und die Kredite dann an Griechenland weiterreicht, auf seinen Zinszahlungen auf die Kredite des Kapitalmarkts sitzenbliebe. Das wäre dann der Fall, wenn Griechenland seiner Verpflichtung nicht nachkäme, dem Rettungsschirm regelmäßig Zinsen (einschließlich eines Aufschlags für die Verwaltungskosten des Rettungsschirms) zu überweisen, mit denen der Rettungsschirm seine Zinszahlungen an den Kapitalmarkt finanziert.

Das heißt umgekehrt: Solange Griechenland dieser Verpflichtung während der gesamten (verlängerten) Kreditlaufzeit immer nachkommt, entstehen dem Rettungsschirm und damit den europäischen Steuerzahlern keine Verluste – trotz „Schuldenschnitt“ im finanzmathematischen Sinn.

Zu Punkt 2: Auch die Argumentation, dass eine weit in die Zukunft geschobene Kreditrückzahlung wegen der Wertminderung durch die Inflation das ESM-Kapital schmälern würde, ist so nicht korrekt. Denn der ESM nutzt für die Hilfskredite an Griechenland – und darin liegt das entscheidende Missverständnis – nicht sein Kapital, sondern er nimmt wie erwähnt selbst Kredite am Kapitalmarkt auf, die lediglich durch das ESM-Kapital gedeckt sind. Für den ESM sind Kredite und Zinszahlungen damit letztlich eine Art durchlaufender Posten.

Das verändert aber entscheidend die Auswirkung der Inflation. Denn der ESM leidet nicht unter der Wertminderung durch die Inflation, sondern er kann die Inflationsverluste auf seine Gläubiger am Kapitalmarkt abwälzen. Wie bei jedem Schuldner gilt dabei: Wer heute 1000 Euro als Kredit aufnimmt, muss am Ende – und sei es auch erst in 30 oder 50 Jahren – 1000 Euro zurückzahlen. Der Gläubiger hat dann das Problem, dass er sich mit den 1000 Euro in 50 Jahren sehr viel weniger leisten kann.

Der Sinn einer Tilgungsverschiebung liegt ja gerade darin, dass sich Griechenland UND der ESM die Inflation über die Zeit zu Nutze machen wollen, um Inflationsverluste auf den Kapitalmarkt abzuwälzen und so den Realwert der Schuldenlast zu mindern. Parallel dazu kann das reale Wachstum die Wirtschaftsleistung im Nenner der Staatschuldenquote steigern und damit zu deren Senkung beitragen.

Alles in allem kann eine Verschiebung der Schuldentilgung um Dekaden so gestaltet werden, dass sie für den Rettungsschirm nicht zu Verlusten führt. Damit gibt es vertretbare Wege, den IWF ins Boot zu holen, denn der vom IWF geforderte „Schuldenschnitt“ lässt sich ohne Schmerzen für Bundeshaushalt und Steuerzahler umsetzen.

Zum Gastbeitrag auf handelsblatt.com

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