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Jürgen Matthes im Handelsblatt Gastbeitrag 25. November 2022

Reform der Welthandelsregeln nötig

China stellt mit Staatskapitalismus, Autarkiestreben und Wettbewerbsverzerrungen Grundprinzipien der Marktwirtschaft infrage. Wir sollten darauf antworten, schreibt IW-Außenhandelsexperte Jürgen Matthes in einem Gastkommentar für das Handelsblatt.

Die Bundesregierung schreibt gerade ihre Chinastrategie und ist dabei alles andere als einig. Das liegt auch daran, dass Chinas Staatskapitalismus unsere marktwirtschaftlichen Grundprinzipien infrage stellt. Das berühmte Denkmodell von Adam Smith gerät ins Wanken: Ihm zufolge maximieren Unternehmen eigennützig ihren Gewinn, doch die Volkswirtschaft profitiert, weil Marktwirtschaft, Preissystem und Wettbewerbsordnung für einen Gleichklang der Interessen sorgen. Kurz: Wenn es den Unternehmen gut geht, profitiert die Gesellschaft. Aber können wir uns dieser Einsicht von Adam Smith mit Blick auf China noch sicher sein?

Deutsche Tochterunternehmen in China wollen immer mehr Geschäftsaktivitäten ins Reich der Mitte verlagern und zunehmend auch von China in die Welt exportieren. Das dürfte mittelfristig unsere Ausfuhrperspektiven mindern und damit deutsche Jobs im Export gefährden. Zudem gehen deutsche Firmen zunehmend mit der neuesten Technologie nach China. Was macht das mit dem Forschungsstandort Deutschland? Und wie sehr helfen deutsche Firmen den Chinesen dabei, ihre technologische Abhängigkeit zu reduzieren?

Allerdings gilt ebenfalls: Wenn in China sehr hohe Gewinne erzielt werden, diese ganz überwiegend nach Deutschland fließen und hier Beschäftigung und Kapitalstock entscheidend stärken, ist der Interessengleichklang möglicherweise weiterhin ausreichend vorhanden.

Doch ist auch zu fragen, ob zu starke Abhängigkeiten einzelne Unternehmen und am Ende die deutsche Politik nicht erpressbar machen. Nach Medienberichten hat die chinesische Botschaft in Berlin einige deutsche Firmen mit großem China-Exposure offenbar unter Druck gesetzt, sich bei der Politik für die Cosco-Übernahme des Hamburger Hafenterminals einzusetzen. Ansonsten drohten Folgen für das eigene Geschäft in China.

Und was passiert bei einer Invasion Taiwans? Würde im Fall weitgehender westlicher Wirtschaftssanktionen nach Rettungspaketen für bedrohte Jobs in Deutschland gerufen und die Steuerzahler müssten für Verluste in China einstehen? Es wäre ein gravierendes ordnungspolitisches Problem, wenn die Interessen von Unternehmen und Volkswirtschaft in wichtigen Feldern nicht mehr übereinstimmten. In der Marktwirtschaft ist es für einige Firmen offenbar rational, noch mehr auf China zu setzen.

Wenn die Politik sich weiter an marktwirtschaftliche Grundprinzipien halten will, was kann sie dann überhaupt tun, um zu große Abhängigkeiten von China zu verringern? Eine Kernfrage für die Chinastrategie ist deshalb, wie wir die Rahmenbedingungen und damit die Anreize für Firmen geschickt ändern können. Eine kleine, aber symbolträchtige Stellschraube wäre etwa, die Investitionsgarantien des Bundes für China-Investments deutscher Firmen restriktiver zu vergeben.

Der zweite große Nationalökonom, David Ricardo, hat ein Außenhandelsmodell entworfen, wonach Handel Ländern ermöglicht, ihren Wohlstand zu steigern, indem sie sich auf ihre komparativen Kostenvorteile spezialisieren. Gerade auch auf dieser Einsicht fußt unser Glaube an das Prinzip offener Märkte. Doch vor rund 20 Jahren hat Paul Samuelson, der Papst der Außenhandelstheorie, gezeigt: Im gleichen Modell kann ein schnelles technologisches Aufholen Chinas gegenüber den USA zu Wohlfahrtsverlusten in Amerika führen.

Denn China macht den Industrieländern ihre etablierten Exportmärkte streitig. Dies gilt umso mehr, weil China seine Firmen hochsubventioniert auf den Weltmarkt schickt und mit der Strategie Made-in-China-2025 zunehmend in unsere Spezialisierungsfelder vordringt. Die Strategie sieht vor, dass Peking die chinesische Industrie aufwertet und etwa den Anteil heimischer Kernmaterialien bis zum Jahr 2025 erheblich steigert.

Auch wenn man vorsichtig sein muss mit ökonomischen Modellen, sollte die Politik in ihrer Chinastrategie ein Szenario von möglichen Wohlfahrtsverlusten berücksichtigen. Ein rapider Transfer neuester Technologie nach China erscheint auch deshalb höchst problematisch.

Dem unfairen Wettbewerb Chinas, der immer mehr effiziente europäische Firmen aus dem Markt drängt, müsste eine Reform der Welthandelsregeln Einhalt gebieten. Multilaterale Kooperation als weiteres Prinzip unseres Handelns funktioniert nicht, wenn ein großer Player nicht mitmacht. China blockiert seit Jahren fairere Regeln gegen Industriesubventionen in der Welthandelsorganisation (WTO). Wenn das so bleibt und China immer mehr Marktanteile erobert, wird die WTO einen langsamen Tod sterben. Letztlich gilt: Entweder wir bringen China zur Kooperation oder China zwingt uns ebenfalls zur Nicht-Kooperation. Und dazu, Dinge zu tun, die wir eigentlich nicht tun wollen, wie auf umfangreiche Industriepolitik zu setzen und mit Subventionswettläufen Steuergelder zu verschwenden.

Um China zur Kooperation zu bewegen, sollten wir mit vielen marktwirtschaftlichen und gleichgesinnten Ländern ein neues, regionenübergreifendes Handelsabkommen gründen - mit über die WTO hinausgehenden Liberalisierungsschritten und vor allem mit besseren Wettbewerbsregeln. China könnte später beitreten, aber nur, wenn es sich an die Regeln hält. Vielleicht müssen wir als Ultima Ratio sogar so weit gehen, dieses Abkommen zu einer alternativen internationalen Handelsorganisation zu machen. Vielleicht müssen wir die WTO aufs Spiel setzen, um sie zu retten.
 

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