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(© Foto: dimitris kolyris/iStock)
Jürgen Matthes in der Fuldaer Zeitung Gastbeitrag 19. Mai 2016

Griechenland erneut am Scheideweg

Griechenland hat gezeigt, dass es zu Wachstum zurückfinden kann. Doch dafür braucht es politische Stabilität. Die Verhandlungspartner tun daher gut daran, die Lage nicht wieder eskalieren zu lassen, schreibt IW-Ökonom Jürgen Matthes in einem Gastbeitrag.

Griechenland steht im Rahmen der ersten Überprüfung des dritten Hilfsprogrammes erneut am Scheideweg. Der Sparpaketbeschluss vom vergangenen Wochenende war nur ein kleiner, wenn auch wichtiger Zwischenschritt. Ohne weitere Reformvorleistungen wird es keine neue Hilfszahlung geben und damit droht erneut ein „Grexit“.

Dass die damit verbundene Unsicherheit Gift für das Wachstum ist, hat das Jahr 2015 demonstriert. Noch Ende 2014 stand Griechenland vor einem neuen Aufschwung, wie viele Indikatoren belegen. Diese Dynamik brach jedoch jäh ab, nachdem die neue Regierung Griechenland mit ihrem konfrontativen Kurs fast aus der Währungsunion hinaus manövriert hätte. Zwei Lehren lassen sich aus dieser Erfahrung ziehen: Erstens kann Griechenland trotz aller Zweifel wieder zu Wachstum zurückfinden. Zweitens braucht es, um dies erreichen, vor allem politische Stabilität. Daher ist das Bemühen der Verhandlungspartner gutzuheißen, die Lage nicht erneut eskalieren zu lassen. Folgende Faktoren haben dies jedoch erschwert und bleiben auch weiterhin mögliche Stolpersteine.

Erstens gibt es Konflikte mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der bislang als Kreditpartner dabei war. Der IWF sieht die Konsolidierungsfähigkeit Griechenlands und damit auch die Schuldentragfähigkeit skeptischer als die meisten Europäer und fordert daher deutliche Schuldenerleichterungen. Ohne eine gesicherte Schuldentragfähigkeit droht er damit, sich am dritten Hilfsprogramm nicht zu beteiligen. Die Bundesregierung will den IWF aber an Bord halten. Denn der IWF ist bei der Reformüberwachung in der Regel konsequenter als die europäischen Institutionen. Damit zwingt der IWF die Bundesregierung freilich in ein Dilemma. Entweder drängt sie auf noch umfangreichere Konsolidierungen, die kaum durchsetzbar und auch nur begrenzt sinnvoll sind, oder sie stimmt einem Schuldenschnitt zu.

Zweitens liegt in der Forderung nach einem echten Schuldenschnitt große politische und rechtliche Sprengkraft. Denn mit einem Forderungsverzicht würden der Rettungsschirm ESM und damit letztlich auch Steuerzahler der Geberländer mit Verlusten belastet werden. Damit wäre die Rettungsstrategie gescheitert, die besagt: Es werden keine Transfers, sondern nur Kredite vergeben, die auf lange Frist ohne Verlust für die Geberländer zurückgezahlt werden. Zudem ist rechtlich sehr fragl ich, ob die europäischen Verträge einen echten Schuldenschnitt überhaupt zulassen.

Brüssel wäre nicht Brüssel, wenn man dort nicht auch für diese komplizierte Gemengelage eine findige Lösung präsentieren würde. So soll ein ausreichender Konsolidierungsfortschritt (mit dem Zielwert für einen öffentlichen Primärüberschuss von 3,5 Prozent des BIP im Jahr 2018) dadurch gesichert werden, dass ein vorsorgliches Sparpaket schon jetzt in seinen wesentlichen Grundzügen beschlossen wird. Es greift freilich nur, wenn in Zukunft eine Zielverfehlung droht.

Zudem haben sich die Euro-Finanzminister auf ihrem Sondertreffen am vergangenen Montag erstmals konkreter über Grundzüge möglicher Schuldenerleichterungen geäußert. Sie lehnen einen echten Schuldenschnitt zu Recht weiter ab, stellen aber verschiedene erleichternde Maßnahmen in Aussicht, vor allem eine Verlängerung der Rückzahlungsfristen der Hilfskredite. Dies ist eine vergleichsweise elegante Lösung. Denn sie reduziert Griechenlands Schuldenberg auf längere Sicht, ohne die Geberländer mit Verlusten zu belasten. Dazu ist es allerdings nötig, dass Hellas weiterhin mit seinen Zinszahlungen mindestens die Zins- und Finanzierungskosten des ESM trägt. Zentral ist darüber hinaus, dass Schuldenerleichterungen erst dann greifen, wenn die Reformen des dritten Hilfsprogramms auch vollständig umgesetzt sind. Denn neben politischer Stabilität sind vor allem die bislang nur zögerlich angegangenen Strukturreformen auf den vielen überregulierten Marktsparten Garant für neues Wachstum in Griechenland.

Mit diesem Lösungspaket, auf das sich auch der IWF einlassen könnte, kann eine erneute Krisenzuspitzung verhindert, neue Stabilität geschaffen und so der Grundstein für die Gesundung der griechischen Wirtschaft gelegt werden.

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