Italiens populistische Regierung spielt mit dem Feuer, wenn sie ihre teuren Wahlversprechen erfüllt. Mit diesem Kurs, vor allem mit der unterschwelligen Drohung eines Euro-Austritts und eines Schuldenschnitt, gefährdet sie den moderaten Aufschwung und letztlich die Wohlstandsbasis Italiens, schreibt IW-Ökonom Jürgen Matthes in einem Gastbeitrag auf Focus Online.
EZB wird es kaum richten: Eine Schuldenparty könnte Italiens Regierung schneller einholen, als sie denkt
Die Erfüllung der Wahlversprechen der populistischen Regierung in Italien – vor allem die deutliche Steuersenkung und das bedingungslose Grundeinkommen-- würden das öffentliche Defizit nach Expertenberechnungen um bis zu 7 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) erhöhen. Damit würde Rom den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt verhöhnen. Der sich abzeichnende Konfrontationskurs mit Brüssel ist erschreckend.
Letztlich ist er aber noch das kleinere Übel, weil möglicherweise eine gravierende Schuldenkrise droht: Einen solch expansiven fiskalpolitischen Kurs kann sich Italien ganz und gar nicht leisten. Angesichts eines öffentlichen Schuldenstands von rund 130 Prozent des BIP sind die Finanzmärkte bereits nervös geworden. Sie fürchten zu Recht, dass die Staatsschulden bei einer Umsetzung der Wahlversprechen nicht mehr tragfähig wären und Italien in eine Schuldenkrise schlittern würde – mit möglicherweise fatalen Folgen auch für den Rest des Euroraums. Doch spricht vieles dafür, dass sich Italien mit einer solchen Strategie vor allem selbst schaden würde.
Tatsächlich sind die Zinsen auf zehnjährige Staatsanleihen von gut 1,7 Prozent noch Anfang Mai auf über 3 Prozent gestiegen. Damit wird die Schuldentragfähigkeit zwar noch nicht gefährdet. Vor allem weil dieses Niveau im Vergleich zur Hochphase der Krise 2011/2012 noch recht niedrig ist und weil selbst höhere Zinsen sich erst allmählich in die Staatsschuld hineinfressen und deren durchschnittliche Verzinsung erhöhen.
Doch die Erfahrung zeigt, dass Finanzmärkte ihre eigene Dynamik haben können. So könnten Ratingherabstufungen, die für den Fall der Umsetzung der Wahlversprechen bereits angedroht wurden, eine Spekulationswelle gegen italienische Staatsanleihen in Gang setzen. Denn Italiens Rating liegt nur zwei Stufen über Ramschniveau. Wenn dieser Status erreicht würde, dürfte die EZB in ihrem aktuellen Programm keine italienischen Staatsanleihen mehr kaufen. Auch die Kreditbeschaffung der italienischen Banken beim Eurosystem würde schwieriger, weil Staatsanleihen dabei als Sicherheit dienen.
Eine Spekulationsspirale könnte auch deshalb in Gang kommen, weil Italien „too big to save“ ist, also zu groß, um von Europa gerettet zu werden. Der Euro-Rettungsschirm ESM hat mit einem aktuell verbleibenden Kreditvolumen von rund 380 Milliarden Euro bei weitem nicht genug Feuerkraft, um Italien aufzufangen. Allein während eines üblichen Dreijahresprogramms des ESM wären italienischen Staatsschulden in einer Größenordnung von 600 bis 700 Milliarden Euro zu refinanzieren. Dass das viel zu viel für den ESM wäre, wissen die Finanzmarktakteure ganz genau.
Auf die EZB sollte Italien nicht so einfach vertrauen
Zuweilen wird die Vermutung geäußert, dass dann die EZB einspringen und Italien raushauen würde. Immerhin sei mit Mario Draghi ja ein Italiener Zentralbankchef. Doch aktuell sieht es eher nach dem Gegenteil aus. Bis vor kurzem hat die EZB sich noch sehr zögerlich mit einem Ausstieg aus dem laufenden Staatsanleihe-Kaufprogramm und mit einer Zinswende gezeigt. Dabei hat sie auf die immer noch recht schwache Inflationsdynamik verwiesen.
Zuletzt hat sich dies aber überraschend schnell grundlegend geändert. So hat die EZB den baldigen Ausstieg aus dem Kaufprogramm wahrscheinlicher erscheinen lassen, weil sie sich mit dem jüngsten Anstieg der Inflationsrate im Euroraum auf 1,9 Prozent im Mai plötzlich schon erstaunlich zufrieden zeigt. Und das obwohl der vorwiegend energiepreisebedingte Anstieg wohl nur vorübergehend ist und die um Sondereffekte bereinigte Kerninflation weiter bei nur knapp über ein Prozent liegt. Hier liegt die Vermutung nahe, dass die EZB möglichst schnell aus dem Kaufprogramm aussteigen will, um den drohenden unverantwortlichen Fiskalkurs der italienischen Regierung nicht noch durch Käufe italienischer Staatsanleihen unterstützen zu müssen.
Wenn es zu einer Schuldenkrise käme, könnte die EZB zwar grundsätzlich auf ihr unbegrenztes Not-Kaufprogramm OMT (Outright Monetary Transacitions) zurückgreifen. Doch das darf sie nur, wenn das Krisenland sich gleichzeitig den Reformbedingungen eines ESM-Programms unterwirft. Darauf dürfte sich die italienische Regierung aller Voraussicht nach nicht einlassen. Auch dieser Rettungsmechanismus steht also nicht wirklich zur Verfügung. Daher ist das Szenario einer Vertrauens- und Schuldenkrise auch aus diesem Blickwinkel nicht auszuschließen.
Plant Italien einen Schuldenschnitt
Wenn man in einem solch extremen Szenario weiterdenkt, scheint der ominöse „Plan B“ des italienischen Europaministers Savona auf eine solche Situation zugeschnitten zu sein. In seinen Überlegungen zielt er letztlich - möglicherweise als Konsequenz aus einer Schuldenkrise – auf einen breit angelegten Schuldenschnitt für den italienischen Staat ab, der zudem mit einem Euro-Austritt einhergehen würde. Auch die Target-Salden gegenüber dem Eurosystem sollten gemäß des Plans in einen solchen Schuldenschnitt einbezogen werden.
Dieses Horrorszenario würde für die europäischen Gläubiger und Steuerzahler zu erheblichen finanziellen Lasten führen. Trotz anderweitiger Bekundungen haben die italienischen Regierungsparteien Spekulationen über einen möglicherweise doch geplanten Euro-Austritt weiter angeheizt, indem sie Gedankenspiele zur Einführung einer Art Parallelwährung kursieren lassen. Es ist nicht auszuschließen, dass dies alles Teil einer Strategie ist, um mit einer Drohkulisse die eigene Verhandlungsposition gegenüber Brüssel und Berlin zu stärken.
Griechenland hat es auch versucht und scheiterte
Damit wären wir in einem ähnlichen Szenario wie 2015 in Griechenland mit der damals neuen Linksregierung in Athen, die ebenfalls mehr oder weniger offen mit dem Euro-Austritt drohte. Am Ende drehten die europäischen Finanzminister den Spieß aber um und verweigerten Griechenland weitere Hilfszahlungen, weil es die Reformauflagen nicht mehr erfüllen wollte.
Damit hätten sie Griechenland wohl de facto aus dem Euro hinausgeworfen, weil die EZB ohne Fortsetzung des Reformprogramms das griechische Bankensystem von der Euro-Finanzierung letztlich hätte abschneiden müssen. Griechenland wäre gezwungen gewesen, eine neue eigene Währung einzuführen. Das hätte zu einem massiven Kapitalabzug geführt (der damals ja schon begonnen hatte) und in der Folge zu einer tiefgreifenden Banken-, Finanz- und Wirtschaftskrise, weil die gesamte Wirtschaft zumindest zeitweise vom internationalen Kapitalmarkt abgeschnitten wäre.
Die griechische Regierung hatte offenbar nicht erwartet, dass die Euro-Finanzminister diesen Weg gehen würden. Als sie vor die Wahl gestellt wurde, für eine massive Krise im eigenen Land verantwortlich gemacht zu werden, lenkte sie ein und unterschrieb ein neues Reform- und Hilfsprogramm.
Verunsicherung schadet Italien
Dieser Präzedenzfall lehrt, dass man nur mit etwas drohen sollte, dessen Konsequenzen man auch zu tragen bereit ist. Auch Italien würde bei einem Euro-Austritt oder bei der Einführung einer Parallelwährung sehr wahrscheinlich ein ähnliches ökonomisches Schicksal drohen. Es käme zu Kapitalflucht und einer tiefen Krise. Die italienische Regierung spielt also mit dem Feuer.
Schon die Aussicht auf eine solche Krise, selbst wenn die Wahrscheinlichkeit dafür noch begrenzt ist, erzeugt Unsicherheit in der Wirtschaft. Das ist Gift für das zarte Pflänzchen Aufschwung, das sich in Italien erst seit kurzem breit gemacht hat. Die drohenden Zinsanstiege, Bankenprobleme und Vertrauensverluste können den kleinen Spross schnell wieder verdorren lassen. Auch eine erneute Rezession ist bei weiterer Verunsicherung nicht auszuschließen, weil der Aufschwung noch nicht breit und nachhaltig genug ist. Wenn die Populisten ihre unverantwortliche Finanzpolitik und die Konfrontation mit Brüssel weiter treiben, drohen sie daher ihren Wählern einen Bärendienst zu erweisen.
Stattdessen ist es jetzt höchste Zeit für die Suche nach Kompromissen, auch von Seiten der Europartner. Andernfalls droht eine Eskalationsspirale, bei der am Ende alle verlieren. Ein zentraler Punkt, bei dem man Italien entgegenkommen sollte, ist die Flüchtlingsfrage. Zu lange hat man das Land damit sträflich allein gelassen– letztlich eine schändliche Unterschlagung europäischer Solidarität, die in Italien zurecht zu tiefer Enttäuschung über Europa geführt hat. Die Hoffnung wäre, dass die italienische Regierung sich damit beschwichtigen lässt und von ihrem anti-europäischen Fiskalkurs Abstand nimmt. Tut sie es selbst dann nicht, stehen Europa und vor allem Italien schwere Zeiten bevor.
Zum Gastbeitrag auf focus.de
EU-Strafzölle: China hat die Lösung des Handelskonflikts selbst in der Hand
Die Ausgleichszölle der EU auf Elektroautos aus China sind zwar legitim und handelsrechtlich erlaubt. Gleichwohl könnten sie der Beginn eines ausufernden Handelskonflikts sein. Es drohen Gegenmaßnahmen, auch wenn die Eskalation nicht im chinesischen Interesse ...
IW
Draghi-Report: „EU muss Wettbewerbsfähigkeit in den Mittelpunkt stellen”
Ex-EZB-Chef Mario Draghi hat in dieser Woche einen Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der EU vorgestellt. Im Handelsblatt-Podcast „Economic Challenges” diskutieren IW-Direktor Michael Hüther und Bert Rürup über die Schussfolgerungen. Die EU müsse neue ...
IW