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(© Foto: artJazz/iStock)
Jürgen Matthes auf Focus Online Gastbeitrag 17. März 2017

Der Ruf nach einer Transferunion verkennt die Natur der Eurokrise

Als Konsequenz aus der Euro-Schuldenkrise fordern viele Politiker nach einem gemeinsamen Haushalt der Euro-Länder. Die Schuldenkrise war allerdings zu außergewöhnlich, um einen solchen Einschnitt zu rechtfertigen.

In Brüssel und teils auch in Berlin wird immer wieder behauptet, die Euro-Schuldenkrise habe gezeigt, dass der Euro nicht zukunftsfähig sei. Manche deutschen Euro-Skeptiker nehmen dies zum Anlass, eine Auflösung der Europäischen Währungsunion (EWU) zu fordern.

Integrationisten dagegen argumentieren genau umgekehrt und fordern mehr fiskalische und politische Integration im Euroraum. Dahinter steht die Vorstellung, dass manche Euroländer vermeintlich mit den Auswirkungen von Rezessionen überfordert sind. Daher fordern sie eine Art Euroraum-Haushalt, der zur Konjunkturstabilisierung Zahlungen an Euroländer leisten soll, die von Wirtschaftskrisen betroffenen sind. Neben einem solchen zentralen fiskalischen Stabilisierungsmechanismus wird alternativ auch eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung im Euroraum gefordert.

Eine solche weitere fiskalische Integration birgt jedoch Risiken:

1. Sie könnte die Tür in eine Transferunion öffnen. Manche Experten fordern explizit einen dauerhaften (weiteren) Transfermechanismus zur Stützung schwacher Eurostaaten. Die meisten Vorschläge sehen jedoch nur vorübergehende Zahlungen in der Krise vor, von denen über die Zeit alle Länder gleichermaßen profitieren sollen. Doch längerfristig droht auch dabei die Gefahr, dass es letztlich doch zu Transferzahlungen kommt.

2. Bei einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung ist nicht auszuschließen, dass Anreize für Arbeitsmarktreformen gemindert werden. Zu Recht leistet die deutsche Regierung daher Widerstand gegen eine weitere fiskalische Integration.

3. Als weiterer Nachteil ist zu bedenken, dass das Narrativ, der Euro sei ohne weitere fiskalische Integration nicht zukunftsfähig, der EU weiter schaden kann. Denn wenn sich bei den Menschen im Euroraum diese Ansicht festsetzt, ohne dass aufgrund politischer Widerstände eine fiskalische Integration erreicht wird, steht die Handlungsfähigkeit Europas erneut in Frage.

Warum die Euro-Krise außergewöhnlich war

Angesichts dieser Risiken ist es nötig zu fragen, ob die Euroländer in Rezessionen wirklich überfordert sind und daher eine fiskalische Integration unverzichtbar ist. Zwei Argumente sprechen dagegen:

Erstens war die Euro-Schuldenkrise keine typische Krise – sie war ungewöhnlich tief, weil sie außergewöhnliche Ursachen hatte. Daher ist Vorsicht vor Schlussfolgerungen aus dieser Krise angebracht.

Zweitens hat die Krise zwar noch Nachwirkungen, die weiter bekämpft werden müssen. Doch weil diese Nachwirkungen vorübergehend sind, rechtfertigen sie keinen dauerhaften fiskalischen Stabilisierungsmechanismus.

Zum ersten Punkt: Die Euro-Schuldenkrise hatte außergewöhnliche und teils einmalige Ursachen. Es ist daher – gerade auch aufgrund zahlreicher erfolgter Reformen – wenig wahrscheinlich, dass sich eine Krise mit ähnlicher Tiefe wiederholen wird. Damit stehen auch die abgeleiteten Forderungen nach mehr fiskalischer Integration auf tönernem Fundament.

In der Tat lassen sich eine ganze Reihe außergewöhnlicher Ursachen der Euro-Schuldenkrise ausmachen:

  • Eine starke Zinssenkung in Südeuropa vor und kurz nach Beginn der EWU hat die dortigen Binnenwirtschaften massiv angekurbelt und die Kosten von Krediten und Verschuldung verringert. Ein solch starker Rückgang der Zinsen bei gleichzeitig passabler Konjunkturlage wird sich nicht wiederholen.
  • Ein ausufernder Kreditboom führte vor der Krise im Gros der südeuropäischen Länder zu einer übermäßigen Verschuldung und teils auch zu einer Blasenbildung am Immobilienmarkt. Die sehr hohe private Verschuldung hat dann die Krise verschärft und den Aufschwung gehemmt. Die Krise war vor allem deshalb im Süden besonders tief. Mit Reformen lässt sich ein überzogener Privatverschuldungsboom in Zukunft mindern.
  • Die globale Finanzkrise hat die Staatsschulden enorm steigen lassen und die Handlungsfähigkeit der nationalen Fiskalpolitik in der Euro-Schuldenkrise stark begrenzt. Auch hier tragen viele Reformen dazu bei, dass eine Finanzkrise ähnlicher Tiefe wenig wahrscheinlich erscheint.
  • Zur Mitte des vorigen Jahrzehnts haben Arbeitsmarktreformen und Lohnzurückhaltung in Deutschland zur Divergenz von Löhnen, Preisen und Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Euroländern beigetragen, während in Südeuropa die Löhne begünstigt durch den Verschuldungsboom stärker stiegen als die Produktivität. Eine erneute Phase der Arbeitsmarktreformen in Deutschland ist nicht absehbar. Vielmehr hat das Gros der südeuropäischen Staaten ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit wieder verbessert.
  • Südeuropa wurde in der letzten Dekade von einem starken Globalisierungsschock in Form plötzlich sehr viel stärkerer Konkurrenz aus Niedriglohnländern getroffen. China konnte nach seinem Beitritt zur Welthandelsorganisation von einem starken Abbau von Handelsbarrieren in Europa profitieren und baute seine Exportmarktanteile enorm aus. Ähnliches gilt für die mittel- und osteuropäischen Staaten, die im Zuge der EU-Osterweiterung besseren Zugang zu den Märkten der alten EU bekamen. Südeuropa wurde stärker als Nordeuropa von diesem erhöhten Konkurrenzdruck getroffen, weil es weniger techologieintensiv produziert. Auch dieser Effekt war außergewöhnlich. Die Konkurrenz der Niedriglohnländer wird zwar bleiben, sie wird sich in Zukunft aber nicht mehr so stark verändern und zudem hatten die südeuropäischen Staaten Zeit, sich an die Herausforderungen anzupassen.

Zum zweiten Punkt: Die Forderung nach mehr fiskalischer Integration im Euroraum wird auch damit begründet, dass sich die Wirtschaften in Südeuropa teilweise noch schwach entwickeln. Das trifft zwar für Italien zu, aber nicht für Spanien und nur sehr bedingt für Portugal. Selbst Griechenland dürfte nach langer Krise in diesem Jahr zu neuem Wachstum zurückfinden.

Soweit sich in Südeuropa die Binnennachfrage und vor allem die Unternehmensinvestitionen noch schwach entwickeln, liegt dies in erster Linie an einer hohen Verschuldung der Unternehmen und einer Belastung der Banken durch notleidende Kredite. Dies gilt vor allem für Italien. Diese Nachwirkungen der Krise sind jedoch temporär und rechtfertigen daher nicht die Einführung eines dauerhaften Euroraum-Haushaltes zur Konjunkturstabilisierung.

Die verbleibenden Krisennachwirkungen müssen gleichwohl dringend und konsequent bekämpft werden, damit sie möglichst bald verschwinden. Spanien hat gezeigt, dass ein konsequentes Aufräumen bei Banken und ein Abbau der privaten Verschuldung bei Unternehmen und Haushalten zu neuem Wachstum führen.

Die Bankbilanzen müssen bereinigt werden

Was ist also zu tun?

  • 1. Die Finanzaufsicht muss bei Banken mit vielen notleidenden Krediten dafür sorgen, dass sie die faulen Kredite in ihrer Bilanz bereinigen. Eine Strategie des Hoffens auf Besserung (gambling for ressurrection) führt in die Irre. Ohne konsequentes Handeln drohen angeschlagene Banken wie in Japan zu Zombie-Banken zu werden, die an alten unproduktiven Krediten festhalten und nicht in der Lage sind, neue zukunftsträchtige Investitionen zu finanzieren. In Italien haben die nationale Finanzaufsicht und die EZB als neue Bankenaufseherin im Euroraum zu lange tatenlos zugesehen und erst kürzlich die Zügel angezogen. Nach dem gescheiterten Referendum hat sich nun ein Zeitfenster geöffnet, das für eine zügige Lösung genutzt werden muss.
  • 2. Faule Kredite lassen sich auch dadurch abbauen, dass sie gebündelt und an private Investoren verkauft werden. Diese Lösung verspricht aber nur dann Erfolg, wenn die Restforderungen der Kredite auch hinreichend zeitnah eingetrieben werden können.
  • 3. Soweit lange und komplizierte private Insolvenzverfahren dies verhindern, müssen hier weitere Reformen erfolgen. In Italien beispielsweise liegt ein Problem in sehr langen Gerichtsverfahren, weshalb der vom früheren Ministerpräsidenten Renzi verfolgte Reformansatz richtig ist, stärker auf außergerichtliche Schiedsverfahren zu setzen.
  • 4. Soweit durch die Abwicklung fauler Kredite Löcher in den Bankbilanzen entstehen, müssen die Finanzinstitute am Markt neues Kapital aufnehmen. Auch wenn dies in der derzeitigen Lage am Aktienmarkt keine attraktive Option ist, bleibt dazu keine Alternative. Denn viele Studien zeigen, dass das Wachstum erst nach dem Abbau eines Schuldenüberhangs wieder richtig in Gang kommt. Wenn eine private Kapitalaufnahme nicht möglich ist, müssen Banken im Regelfall restrukturiert und zur Not auch mit Bad Bank Konzepten abgewickelt werden.
  • 5. Soweit dabei staatliche Stützungsmaßnahmen nötig sind, müssen die neuen EU-Regeln zur Beteiligung privater Aktionäre und Gläubiger beachtet werden. Da in Italien aufgrund fragwürdiger Vertriebspolitiken der Banken viele private Anleger Anleihen der Banken halten, erscheinen staatliche Kompensationszahlungen für erlittene Verluste politisch angebracht, allerdings nicht für wohlhabende Investoren. Sollte durch das Aufräumen bei den Banken das ganze Finanzsystem ins Wanken geraten und damit auch die Stabilität des Euroraums gefährden, müsste der Euro-Rettungsschirm ESM eingreifen. In Spanien hat der ESM dazu beigetragen, dass im Finanzsystem konsequent aufgeräumt wurde.

Weil die Krisennachwirkungen temporär und mit den aufgezeigten Maßnahmen bekämpfbar sind, ist es problematisch, mit dem Verweis auf die verbleibende Wirtschaftsschwäche die Schaffung eines dauerhaften Euroraum-Haushaltes zu rechtfertigen.

Stattdessen gilt es zu betonen, dass seit Ausbruch der Euro-Schuldenkrise zahlreiche Reformen erfolgt sind, die die EWU auf ein festeres Fundament stellen, weil sie an den zentralen Krisenursachen angesetzt haben. Es geht dabei zum einen darum, durch die Eindämmung ausufernder Privatverschuldung das Ausmaß zukünftiger Krisen zu verringern. Zum anderen wurde die Funktionsfähigkeit der EWU deutlich erhöht, weil Reformen sie weniger anfällig für Schocks gemacht haben und wichtige Anpassungsmechanismen an Krisen verbessert wurden.

Zum Gastbeitrag auf focus.de

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