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Jürgen Matthes in Focus Online Gastbeitrag 5. Dezember 2022

Am Finanzmarkt muss es ein Stresstest-Szenario für eine Taiwan-Invasion geben

Chinas Drohungen gegenüber Taiwan haben immer mehr zugenommen. Für uns in Deutschland ist das relevant, weil einige deutsche Firmen stark in China engagiert sind. Im Falle einer Taiwan-Invasion werden die USA starken Druck ausüben, dass sich auch Deutschland umfangreichen westlichen Sanktionen anschließt, schreibt IW-Außenhandelsexperte Jürgen Matthes in einem Gastbeitrag für Focus Online.

Chinas Drohungen gegenüber Taiwan haben immer mehr zugenommen. Einen Höhepunkt erreichten sie bei der militärischen Reaktion Chinas auf den Besuch von Nancy Pelosi, der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses - obwohl deren Stippvisite eigentlich historisch keine Besonderheit war.

Für uns in Deutschland ist das relevant, weil einige deutsche Firmen stark in China engagiert sind. Im Falle einer Taiwan-Invasion werden die USA starken Druck ausüben, dass sich auch Deutschland umfangreichen westlichen Sanktionen anschließt. Auch Enteignungen in China sind dann nicht mehr ausgeschlossen. Ein solches Szenario birgt erhebliche Verlustrisiken für einige der in China stark exponierten deutschen Firmen. Auch Steuerzahler und Aktionäre könnten dabei Geld verlieren.

Kaum belastbare Zahlen vorhanden

Dumm nur, dass wir kaum etwas über die Verlustrisiken aus dem China-Geschäft der betreffenden Börsenfirmen wissen, weil hierzu kaum belastbare Zahlen veröffentlicht werden.  

Ob China in Taiwan in näherer Zukunft einmarschiert oder nicht, weiß derzeit niemand - außer vielleicht die chinesische Führung um Xi Jinping. Manche westliche Experten halten China noch länger militärisch nicht für stark genug, um die Konfrontation mit den USA zu wagen. Andere glauben, dass Xi es sich zur Aufgabe gemacht hat, in seiner Amtszeit und bevor er zu alt ist, Taiwan einzugliedern. Wenn nicht freiwillig, dann mit militärischem Zwang. Umso bemerkenswerter ist die Meldung, dass Experten im Bundeswirtschaftsministerium mit einer Invasion Taiwans bis 2027 rechnen, dem 100. Gründungsjahr der Volksbefreiungsarmee China-Strategie in Planung: Habeck will Wirtschaft unabhängiger machen

Es ist also höchste Zeit, stärker über die Folgen einer Taiwan-Invasion nachzudenken. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommt, ist inzwischen so hoch, dass die Geheimhaltung über die Relevanz der China-Geschäfte nicht länger zeitgemäß ist. Verlustrisiken entstehen nicht nur durch Gewinneinbrüche in China, sondern vor allem dadurch, dass möglicherweise Anlagevermögen in großem Umfang abgeschrieben werden muss.

Diese Gemengelage ist aus zwei Gründen ein Thema für die Politik in Berlin.

  • Zum einen, weil bei umfangreichen Verlusten großer deutschen Firmen hierzulande Jobs auf dem Spiel stehen dürften und der Ruf nach einer Rettung durch den Steuerzahler laut werden mag. Gewinne privat vereinnahmen zu lassen, aber vorhersehbare Verluste zu sozialisieren, wäre gesellschaftspolitisch höchst problematisch. Das war schon eine Lektion der Bankenkrise vor rund 15 Jahren. Es gilt umso mehr in der heutigen Zeit hoher Belastungen durch Energiepreise und Inflation.
  • Zum anderen hat die Politik auch in der Börsenwelt eine Aufgabe. Manche deutsche Börsenunternehmen setzen auf noch mehr China, weil dort kurzfristig hohe Gewinne winken. Werden dabei längerfristige Risiken ausreichend berücksichtig, wenn die Geschäftsleitungen unter dem Zwang stehen, regelmäßig gute Zahlen in den Quartalsberichten abliefern zu müssen? Möglicherweise ist der marktwirtschaftliche Anreizrahmen hier problematisch und verleitet zu einer zu starken Kurzfristorientierung.

Für die Politik geht es deshalb auch um den Anlegerschutz: Denn bei einem Invasionsszenario drohen bei den betroffenen Firmen starke Börsenkurseinbrüche. Es ist aber politisch gewollt, dass langfristig orientierte Sparer mit Aktien für das Alter vorsorgen. Wenn die Anleger diese Gefahr aufgrund mangelnder Offenlegung nicht richtig erkennen können, besteht Handlungsbedarf. Mehr Transparenz über die möglichen Verlustrisiken ist dringend nötig.

Ratingagenturen sollten für Transparenz sorgen

Eigentlich sollte der Finanzmarkt, vor allem die Ratingagenturen, für mehr Transparenz sorgen, aber das klappt bisher offenbar nicht so recht. Hier ist also ein erster Ansatzpunkt für den Staat. Darüber hinaus sollte die Politik dafür sorgen, dass in den Geschäftsberichten der exponierten Börsenfirmen ausreichend über die Taiwan-Risiken steht. Der Lagebericht mit der Analyse relevanter Risikofaktoren ist dafür ein möglicher Platz. Die Bundesregierung sollte daher Finanzaufsicht und Wirtschaftsprüfer in die Pflicht nehmen, hier genauer hinzusehen und in den Geschäftsberichten mehr Offenlegung einzufordern. Um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten, könnte die Politik wie in der Bankenwelt ein einheitliches Stresstest-Szenario für eine Taiwan-Invasion vorgeben.

Wenn die Verlustrisiken stärker offengelegt und beziffert werden, können Sparer entscheiden, ob sie kurzfristig noch an den jetzt noch sprudelnden Gewinnen in China partizipieren wollen oder ob sie lieber verkaufen, weil ihnen ihre Anlage zu heikel wird. Dnn - und auch bei Rating-Warnungen - wären fallende Börsenkurse die Folge, auch in der kurzen Frist.

Mehr Transparenzanforderungen haben daher einen weiteren Charme: Damit bekommt die Politik ein marktwirtschaftliches Korrektiv in die Hand, um die Kurzfrist-Anreize zu „immer mehr China“ zumindest etwas einzuhegen.

Zum Gastbeitrag auf focus.de

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