Die SPD schlägt Freibeträge in der Sozialversicherung vor, um Haushalte niedrigen und mittleren Einkommens zu entlasten. Die Idee setze nicht an der richtigen Stelle an, schreibt Jochen Pimpertz, IW-Experte für Sozialpolitik, in der Bilanz.
Das falsche Instrument
Noch ist es nur eine Idee und kein durchgerechnetes Modell: Der stellvertretende SPD-Chef Schäfer-Gümbel schlägt vor, Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen bei den Sozialversicherungsbeiträgen zu entlasten – und zwar analog zur Einkommensteuer über Freibeträge.
In einer Phase, in der die Parteien bereits an den Bundestagswahlkampf denken, ist dieser Vorschlag sicherlich mehr ein Testballon als nur politisches Sommertheater. Was ist also dran an der Idee?
Schäfer-Gümbel hat zunächst Recht, wenn er darauf hinweist, dass insbesondere Bezieher niedriger Einkommen über Entlastungen bei der Einkommensteuer kaum erreicht werden können. Denn das Gros der Steuerlast stemmen andere. Gut Dreiviertel des Einkommensteueraufkommens schultert allein das obere Viertel der Bestverdienenden, fast 95 Prozent trägt die obere Hälfte der Haushalte.
Deshalb liegt es nahe, alternativ die Beitragslast in der gesetzlichen Sozialversicherung zu reduzieren, denn Geringverdiener werden hier wie alle anderen Mitglieder bereits ab dem ersten Euro mit dem gleichen Prozentsatz belastet.
Ein Freibetrag müsste dann so konstruiert werden, dass die ersten Euro des beitragspflichtigen Einkommens beitragsfrei bleiben und die Beitragspflicht später (gegebenenfalls in Stufen ansteigend) eintritt.
Da das jedoch zu erheblichen Ausfällen bei der Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung führen würde, wäre eine Kompensation über höhere Beitragssätze, eine Anhebung und/oder Abschaffung der Bemessungsgrenzen und/oder eine Ausweitung der Beitragspflicht auf weitere Einkommensbestandteile zwingend notwendig. Dies gilt umso mehr, je großzügiger die Freibetragsgrenzen gewählt werden.
Allerdings würden damit die Arbeitskosten und so auch die Beschäftigungschancen vor allem der hochqualifizierten Arbeitnehmer belastet. Denn bei unveränderten Nettolohnerwartungen müssten die Arbeitgeber für diese Mitarbeiter deutlich höhere Sozialabgaben zahlen.
Aber könnte die Freibetragsregelung nicht den Arbeitsanreiz gerade in Familien verbessern? Denn bislang ergeben sich vor allem dann negative Beschäftigungsanreize, wenn bisher beitragsfrei Familienversicherte mit der Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung beitragspflichtig werden, ohne dass sich daraus (abgesehen vom Krankengeldanspruch) zusätzliche Leistungsansprüche ergeben.
Die Sozialabgabenpflicht kann dann wie eine Steuer auf die Beschäftigung wirken. Dieser Einwand ist ein grundsätzliches Argument gegen die beitragsfreie Mitversicherung erwachsener Familienangehöriger, keinesfalls aber eine Begründung für Freibeträge, zumal mit den Mini- und Midi-Jobregeln bereits ein gleitender Übergang von der Beitragsfreiheit zur vollen Beitragspflicht besteht.
Geht es aber um die Beschäftigungschancen am unteren Ende der Einkommensverteilung, dann steht die berufliche Qualifizierung wohl eher im Mittelpunkt und weniger die Frage der Sozialabgabenpflicht. Gerade am unteren Ende der Einkommensverteilung rangieren nicht nur Geringverdiener, sondern vor allem Bezieher von Transfereinkommen.
Sofern diese als Arbeitslose oder Hartz-IV-Empfänger keine eigenen Sozialbeiträge zahlen oder wie Rentner nur in einzelnen Zweigen beitragspflichtig sind, bleiben sie von der zusätzlichen Umverteilung von oben nach unten ausgeschlossen.
Das Instrument ist aber nicht nur wenig treffsicher. Es kommt die Gesellschaft auch teuer zu stehen. Denn es drohen unerwünschte Mitnahmeeffekte, weil Personen profitieren können, die möglicherweise gar keiner Entlastung bedürfen. Denn eine Freibetragsregelung begünstigt alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, also auch jene, die zum Beispiel aufgrund einer Ausbildung oder familiärer Verpflichtungen freiwillig in Teilzeit arbeiten, aber im Haushaltskontext gut abgesichert sind.
Selbst wenn man die Umverteilungspräferenzen der Sozialdemokraten teilen möchte, ergibt es demnach wenig Sinn, diese über Freibeträge bei den Sozialabgaben anzustreben.
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