Bei der Versorgung mit Metallrohstoffen ist Deutschland vollständig und Europa weitgehend auf internationale Einfuhren angewiesen. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Schon vor anderthalb Jahrzehnten wurden die Versorgungsrisiken der Rohstoffbeschaffung diskutiert. Ein chinesisches Quasi-Monopol bei Seltenen Erden und stark gestiegene Weltmarktpreise haben damals für Aufregung gesorgt. Seitdem haben sich die Preise beruhigt, die Versorgung blieb stabil. Geändert hat sich kaum etwas.
Rohstoffsicherheit: Ein Scheinriese
Heute drohen aus zwei Gründen neue Knappheitsgefahren. Erstens – und kurzfristig – verbindet sich die weiterhin starke Marktposition Chinas im Bergbau und der Aufbereitung der Erze mit zunehmenden geopolitischen Spannungen und einem sich aufbauenden Systemkonflikt. Zweitens – mittelfristig – entsteht durch technologische Entwicklungen und die Veränderung der Produktion wichtiger Industriebranchen ein völlig neuer Bedarf an einzelnen Rohstoffen, der weit über die bisherige Weltförderung hinausgeht.
Die Sicherheit der Rohstoffversorgung erinnert an den Scheinriesen aus „Jim Knopf“. Von weitem sieht sie groß und eindrucksvoll aus. Schließlich hat jahrelang alles funktioniert. Je näher man schaut, desto kleiner wird die Versorgungssicherheit, desto größer und deutlicher werden die Risiken, vor denen man sich nicht verstecken sollte.
Das China-Risiko
China ist der weltgrößte Anbieter von Metallrohstoffen, aber auch der größte Nachfrager. Der Einfluss Chinas auf die globalen Märkte ist nicht zu unterschätzen. Kritisch für die Versorgungssicherheit ist vor allem die chinesische Marktmacht auf der Angebotsseite. China hat bei wichtigen Rohstoffen zwar keine Monopolstellung, aber doch solch eine dominante Position, dass ein Ausfall Chinas als Anbieter die Industrien weitgehend stilllegen könnte, die diese Rohstoffe verwenden. Dabei summiert sich die Marktmacht aus der Förderung in eigenen Vorkommen, dem exklusiven Zugriff auf Bergwerke in anderen Ländern, beispielsweise auf dem afrikanischen Kontinent, und in der Verarbeitung der Erze. Bei der Raffinade ist der Weltmarktanteil Chinas oftmals noch höher als bei den natürlichen Vorkommen.
China wird deshalb zum Risiko, weil die starke Marktposition in einem eskalierenden Systemkonflikt als wirtschaftlicher Druckhebel politisch missbraucht werden könnte. Wenn es zu einem Boykott – auch versteckt hinter technischen Begründungen – käme, hätte das für die High-Tech-Industrien in den nicht belieferten Ländern erhebliche Folgen. Wenn die Abnehmerländer selektiv beliefert werden, könnten mögliche Koalitionen im Systemkonflikt geschwächt werden. Vergleichbar ist diese Krisensituation mit dem Versuch Russlands, durch die reduzierten und schließlich eingestellten Gaslieferungen Druck auf Europa auszuüben. Im Unterschied zum Ausfall der Gaslieferungen aus Russland könnten Rohstoffeinfuhren aus China im Krisenfall jedoch kaum in einem angemessenen Zeitraum ersetzt werden.
Das Nachfrage-Risiko
Für wichtige Produktionen der Zukunft werden in großer Menge zusätzliche Rohstoffe benötigt. Elektromobilität basiert auf Lithium und Cobalt, Seltene Erden werden unter anderem für erneuerbare Energien benötigt. Durch die modernen Technologien wird sich der zukünftige Verbrauch für eine Reihe von Rohstoffen in den nächsten zwei Jahrzehnten um ein Mehrfaches der aktuellen Weltproduktion erhöhen. Die derzeitigen Planungen für die nächste Dekade reichen kaum aus, um die prognostizierte Mehrnachfrage zu decken.
Wenn das Angebot nicht schnell genug ausgeweitet werden kann, drohen deutliche Kostensteigerungen. Damit werden die – auch aus klimapolitischen Gründen gewünschten – Produkte teurer und die Produktionspotenziale eingeschränkt. Damit wird der Zugang zu den Rohstoffen ein entscheidender Wettbewerbsfaktor für wichtige Industrien. Wer sich frühzeitig Zugang sichert, kann sich Vorteile bei der eignen Produktions- und Lieferfähigkeit sichern. Wer als Unternehmen oder als Volkswirtschaft die Versorgung nicht sichern kann, droht ins Hintertreffen zu geraten.
Optionen
„Es ist an der Zeit, die Versorgungsrisiken klarer in den Blick zu nehmen – und sich nicht vom Scheinriesen der Versorgungssicherheit täuschen zu lassen.“
Für eine Sicherung der Rohstoffversorgung sind vielfältige Maßnahmen notwendig. Dazu gehört eine hohe Materialeffizienz zur Begrenzung der Nachfrage und der Aufbau einer Kreislaufwirtschaft für Metalle mit hinreichend großen Stoffströmen. Batterierecycling gehört essenziell zum Aufbau der Elektromobilität. Unternehmen können sich durch langfristige Lieferverträge und eigene Investitionen den Zugang zu Ressourcen in knapper werdenden Märkten sichern. Bei Lithium beispielsweise gibt es verschiedene interessierte Länder mit stabiler, demokratischer und marktwirtschaftlicher Tradition.
Besonders schwierig ist die Diversifizierung auf der Angebotsseite zur Reduktion der politischen Lieferrisiken, insbesondere aus China. Unterstützung zum Aufbau von internationalen Bergbau- und Raffinierungsprojekten durch langfristige Lieferverträge oder andere politische und finanzielle Flankierungen können einen Beitrag dazu leisten. Dasselbe gilt für inländischen oder europäischen Bergbau oder die Kooperation mit marktorientierten Bergbaustandorten. Wirtschaftlich ist Diversifizierung eine Art Versicherung: Solange die Lieferungen aus China stabil sind, ist jede Art von Absicherung aber teuer und erfordert Investitionen in Milliardenhöhe. Im Schadensfall werden jedoch enorme Kosten des Stillstands vermieden und politische Erpressungsversuche weniger erfolgversprechend. In den USA wird für bestimmte staatliche Beihilfen bereits eine China-freie Wertschöpfungskette bis zum Rohstoff gefordert. Auch wenn diese konkrete Lösung nicht überzeugt: Es ist an der Zeit, die Versorgungsrisiken klarer in den Blick zu nehmen – und sich nicht vom Scheinriesen der Versorgungssicherheit täuschen zu lassen.
Hier geht zum Beitrag auf energie-klimaschutz.de.
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