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Holger Schäfer im Handelsblatt Gastbeitrag 7. August 2013

Niedrig, aber gut

Der Niedriglohnsektor ist eine Erfolgsgeschichte, rückt Holger Schäfer, Arbeitsmarktökonom im Institut der deutschen Wirtschaft Köln, im Handelsblatt ein verbreitetes Vorurteil zurecht.

Knapp ein Viertel der Beschäftigten in Deutschland arbeitet im Niedriglohnsektor. Überwiegend wird dieser Befund negativ konnotiert: Unternehmen würden insbesondere seit Einführung der Hartz-Reformen die Löhne drücken und sich bereichern, indem sie den Staat Niedriglöhne aufstocken lassen. Die Mittelschicht rutsche ab, lautet eine weitverbreitete Schlussfolgerung. Diese Sichtweise ist einerseits verständlich, erweist sich bei näherer Betrachtung des Phänomens Niedriglohnbeschäftigung aber als unzutreffend.

Erstens ist festzustellen, dass das Wachstum des Niedriglohnsektors nicht erst nach den Hartz-Reformen eingesetzt hat, sondern in den 1990er-Jahren. Es dürfte somit viel eher Resultat des im Zuge der Globalisierung gestiegenen Wettbewerbs im Segment einfacher Arbeit sein als Ergebnis sozialpolitischer Weichenstellungen - zumal seit 2007 keine weitere Zunahme der Niedriglohnbeschäftigung mehr beobachtet werden kann.

Zweitens darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass parallel zum Wachstum der Niedriglohnbeschäftigung auch die Erwerbstätigkeit insgesamt zugenommen hat. Die im Niedriglohnsektor entstandene Beschäftigung war zuvor nicht im Hochlohnsektor zu finden, sondern es gab sie gar nicht. Von 2001 bis zum Jahr 2011 stieg der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von 10,9 auf 13,6 Prozent. Im gleichen Zeitraum nahm die Beschäftigung zu höheren Löhnen aber nicht ab, sondern stieg von 46,4 auf 48,7 Prozent. Hingegen nahm der Anteil der inaktiven Bevölkerung von 30,2 auf 25,8 Prozent ab. Der Niedriglohnsektor ist kein Auffangbecken für eine vermeintlich erodierende Mittelschicht, sondern Ergebnis eines beschäftigungspolitischen Erfolgs.

Drittens kam die im Niedriglohnsektor zusätzlich entstandene Beschäftigung jenen Personen zugute, die anderweitig wenige Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Dies wird zuweilen in Abrede gestellt, weil vier Fünftel der Niedriglohnbeschäftigten über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen. Das trifft zwar zu, ist aber für die Frage der Entlohnung irrelevant. Relevant ist vielmehr, dass 44 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnsektor für die Ausübung ihrer Tätigkeit keine Berufsausbildung benötigen. Hinzu kommen Beschäftigte, die eigentlich eine Ausbildung benötigen und auch über eine solche verfügen - allerdings in einem ganz anderen Beruf.

Zählt man nur die Beschäftigten, die eine Ausbildung benötigen und auch eine Ausbildung in diesem Beruf haben, sind nur 36 Prozent der Niedriglohnbeschäftigten beruflich qualifiziert. Zwei Drittel der Niedriglohnbeschäftigung stehen gering und fachfremd qualifizierten Personen zur Verfügung. Die Expansion des Niedriglohnsektors war somit von Bedeutung für die verbesserte Arbeitsmarktlage der gering Qualifizierten. Von 1999 bis 2011 stieg die Erwerbstätigenquote jener ohne Berufsausbildung von 51,2 auf 57,2 Prozent.

Die steigende Niedriglohnbeschäftigung hat dazu beigetragen, dass Deutschland sein Massenarbeitslosigkeitsproblem in den Griff bekam. Viele zuvor arbeitslose oder nichterwerbstätige Personen fanden einen Job. Für die Betroffenen war dies in den meisten Fällen mit einer Verbesserung der individuellen sozialen Lage verbunden.

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