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Hans-Peter Fröhlich im Kölner Stadt-Anzeiger Gastbeitrag 21. Januar 2014

Kehrtwende als Staatsräson

Mit der Korrektur seiner Wirtschaftspolitik schafft Präsident François Hollande eine Voraussetzung für das Wiedererstarken Frankreichs und Europas, schreibt der stellvertretende IW-Direktor Hans-Peter Fröhlich im Kölner Stadt-Anzeiger.

Aus einer Sackgasse gibt es nur einen Ausweg: die Kehrtwende. Diese Erkenntnis scheint dem französischen Staatspräsidenten François Hollande in den besinnlichen Tagen zum Jahreswechsel gekommen zu sein. In einer Grundsatzrede zur Wirtschaftspolitik vor wenigen Tagen hat Hollande sich von seinem bisherigen Kurs verabschiedet, den Franzosen öffentliche Wohltaten zu versprechen und der Wirtschaft immer zusätzliche Lasten aufzubürden. Stattdessen lautet seine Parole nun, den staatlichen Gürtel enger zu schnallen und die Unternehmen zu entlasten.

Der abrupte Politikwechsel des Hausherrn im Élysée-Palast dürfte kaum etwas mit einem Gesinnungswandel vom Sozialisten zum Neoliberalen zu tun haben. Dahinter steckt vielmehr ein Rendez-vous mit der Realität - und diese Begegnung hätte ernüchternder nicht ausfallen können. Anderthalb Jahre nach Hollandes Amtsantritt zeigt die französische Wirtschaft keine Anzeichen der angekündigten Besserung. Im Gegenteil, alle volkswirtschaftlichen Indikatoren - insbesondere die erschreckend hohe Arbeitslosigkeit - belegen die fehlende Dynamik und geringe Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft.

Das gilt insbesondere im Vergleich zu Deutschland: Während beide Länder bis zur Finanzkrise 2008 ökonomisch weitgehend im Gleichschritt marschierten, läuft die Entwicklung seitdem immer stärker auseinander. Der Blick über den Rhein zeigt den Franzosen unmissverständlich, dass sie wirtschaftlich den Anschluss verloren haben.

In genau derselben Situation befand sich Frankreich schon einmal - vor gut 30 Jahren. 1981 war mit François Mitterrand erstmals ein Sozialist in den Élysée-Palast eingezogen, stramm links orientiert, mit einem kommunistischen Regierungspartner. In den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit zog Mitterrand alle Register interventionistischer Wirtschaftspolitik, von der Unternehmensverstaatlichung über die Ausweitung des öffentlichen Dienstes bis zu Preis- und Devisenkontrollen. Nach einem kurzen binnenwirtschaftlichen Strohfeuer geriet die Wirtschaft seines Landes international schnell ins Hintertreffen: Die Devisenreserve schmolz rasch dahin, der Franc musste gegenüber der D-Mark abgewertet werden - eine wirtschaftspolitische Schmach für die Grande Nation. Sie hatte zwar eine Generation zuvor den Krieg gegen die Deutschen gewonnen, aber den anschließenden Kampf um die Weltmärkte mit den Mitteln der Wirtschaft eindeutig verloren.

In dieser Situation erwies sich Mitterrand als Staatsmann. Er stellte das Wohl der Nation über das der Partei und warf seine sozialistische Ideologie über Bord. Im Frühjahr 1983 vollzog er eine der beeindruckendsten wirtschaftspolitischen Kehrtwenden der Wirtschaftsgeschichte. Von nun an hatten die Sanierung der Staatsfinanzen und die Stabilisierung des Franc oberste Priorität. In Wirtschaftsminister Jacques Delors, dem späteren Präsidenten der EU-Kommission, fand die neue Politik ein glaubwürdiges Gesicht.

Tatsächlich läutete das Duo Mitterrand/Delors auf diese Weise nicht nur eine relativ erfolgreiche Phase für die französische Wirtschaft ein. Es stellte zugleich auch einen weitgehenden Gleichklang mit der Entwicklung in Deutschland her. Das galt vor allem für die Preis- und Währungsstabilität, die frühere Achillesferse der französischen Wirtschaft. Damit war überhaupt erst die Voraussetzung dafür geschaffen, das Vorhaben einer gemeinsamen Währung in Europa in Angriff zu nehmen.

Vor diesem Hintergrund wirkt die jetzt vorgenommene Kurskorrektur des zweiten Sozialisten im Élysée-Palast wie ein Déjà-vu-Erlebnis. Mit der Ankündigung allein ist es allerdings nicht getan. Den Worten müssen Taten folgen. Dann könnte Frankreich in den nächsten Jahren durchaus wieder zu Deutschland aufschließen.

Das wäre nicht nur unseren westlichen Nachbarn zu wünschen, es liegt auch in unserem Eigeninteresse. Ein starkes Tandem Deutschland und Frankreich ist die Voraussetzung dafür, dass Europa insgesamt wirtschaftlich wieder Tritt fassen und die Euro-Krise hinter sich lassen kann. Wir haben allen Grund, aufmerksam über den Rhein zu schauen - und François Hollande die Daumen zu drücken.

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