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Michael Hüther Gastbeitrag 25. Januar 2007

Gespräche in der Teeküche

Die Verpflichtung zum globalen Freihandel muss glaubwürdig erneuert werden.

Am vergangenen Mittwoch wurde das Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums in Davos eröffnet. Kritische Stimmen gibt es dazu fast reflexartig. "Elitärer Jahrmarkt der Eitelkeiten" schimpfen die einen, "einseitige Orientierung" auf die Industrieländer bemängeln die anderen. Und dennoch fahren Jahr für Jahr hochrangige Politiker und Wirtschaftsführer aus aller Welt in die verschneiten Schweizer Alpen. Für nichts und wieder nichts würde wohl kaum jemand so viel Zeit investieren. Schon das spricht dafür, dass Davos trotz fehlender Kommuniques oder Vertragsabschlüsse Mehrwert schafft.

Im Grund ist es wie in allen anderen Lebensbereichen auch: Die Menschen benötigen Schutzräume des zufälligen Gesprächs, der beiläufigen Kommunikation und des sanktionsfreien Querdenkens. In der Schule ist es der Pausenhof, im Unternehmen die Teeküche, im Alltag die Eckkneipe. Solche Drehscheiben für den Informationsaustausch werden gerade in offenen, mit dezentraler Kompetenz ausgestatteten Gesellschaften benötigt.

Der Soziologe Ronald S. Burt hat die Funktion dieser Art von Informationsvermittlung, die aus der Stärke von schwachen und zufälligen Verbindungen lebt, analysiert. Eingängig ist dafür das Beispiel des Friseurs. Auf dem Friseurstuhl ist es recht mühsam, Lektüre zu genießen, wenn man nicht durch waghalsige Verrenkungen ein erhöhtes Risiko für einen Bandscheibenvorfall eingehen will. So erzählt man dies und jenes, ebenso beiläufig erfährt man jenes und dieses. Schon mancher Job wurde so vermittelt, für manche Wohnung auf diesem Weg ein Nachmieter gefunden.

Ähnlich geht es in der Teeküche eines Unternehmens. Verwandte Projekte und Studien können so transparent werden, ebenso ein gemeinsames thematisches Interesse. Eine kluge Unternehmensführung weiß, darauf zu achten.

In der Weltwirtschaftspolitik ist dies nicht anders. Davos ist quasi deren Teeküche. Hier entstehen jedes Mal aufs Neue Kommunikationsmöglichkeiten, die jenseits des Protokolls und unverkrampft durch den Erfolgszwang vorgegebener Agenden ungewohnte Perspektiven und Optionen eröffnen. Eine Kritik, die das übersieht und auf billige Weise Stimmung zu machen versucht, hat wenig für sich. Allerdings ist die Frage berechtigt, wie ein thematischer Überbau geschaffen werden kann, um dem Weltwirtschaftsforum eine jeweils zeitgemäß leitende Idee vermitteln zu können.

In diesem Jahr steht Davos unter dem Motto "Veränderungen im globalen Kräftegleichgewicht". Darunter lassen sich weltweite Trends unterschiedlichster Provenienz hinsichtlich ihrer Kraft zur Neugewichtung von politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Handlungsweisen erörtern. Wohin führen die Internationalisierung der Arbeitsteilung, die geldpolitische Stabilisierung, die Liberalisierung der Märkte und die Revision der Staatstätigkeit? Der Effizienzgrad des Wirtschaftens hat sich weltweit erhöht. Aber es partizipieren noch nicht alle daran.

Der Bundespräsident hat vor kurzem anlässlich der zweiten Konferenz "Partnerschaft mit Afrika" daran erinnert. Horst Köhler hat angemahnt, dass das Potenzial für partnerschaftliches Handeln mit dem - lange vergessenen - Kontinent bei weitem noch nicht ausgeschöpft sei. Zu viele Experten kämen nach Afrika mit ihren vorgefertigten Konzepten, die nur übernommen würden, weil sie Projektgelder versprächen. Auch wenn Afrika in den vergangenen fünf Jahren wirtschaftliches Wachstum erlebt habe, so stehe uns doch ein langer Lernprozess bevor. Die notwendige Modernisierung, die Afrika im Wesentlichen noch vor sich habe, bedürfe der Unterstützung durch die wohlhabenden Nationen.

Dabei streiten sich die Geister über den effektiven Weg. Natürlich ist gezielte Entwicklungshilfe notwendig. Diese sollte vor allem an den Erfolg von Reformprozessen gekoppelt sein. Denn, so zeigt eine Studie der Weltbank, Auslandshilfe hat dann eine starke Wirkung, wenn das jeweilige Land selbst Reformen einleitet und Marktöffnung betreibt. Gleichzeitig wurde deutlich, dass die schlecht regierten Staaten mehr ausländische Hilfe erhalten als die gut regierten. Die Entwicklungshilfe setzt ihre Instrumente zu undifferenziert und zu gleichmäßig ein.

Die reichen Nationen können aber noch etwas anderes tun: Sie können durch die Offenheit ihrer Märkte, durch die weitere Mobilisierung von Globalisierungsvorteilen dazu beitragen, dass die Entwicklungschancen Afrikas durch eine Perspektive des Friedens nachhaltig stabilisiert werden. Empirische Studien zeigen eindrucksvoll die befriedende Wirkung wirtschaftlicher Freiheit und der Globalisierung. Die reichen Staaten dieser Erde müssen ihre Märkte offen halten und selbst alles für weitere marktwirtschaftliche Reformen zu Hause tun. Dass sich daraus entsprechende Aufgabenlisten ableiten, erleben wir selbst seit geraumer Zeit in Deutschland.

Vor allem aber: Jeglichem Protektionismus muss eine Absage erteilt und die Doha-Runde der Welthandelsorganisation zum Erfolg geführt werden. Dafür bestehen durchaus Chancen. Jedenfalls gibt es keinen Grund, die Gespräche für die multilaterale Liberalisierung verloren zu geben und nach alternativen Strategien zu suchen. Im Regionalismus oder im Gestrüpp bilateraler Abkommen liegt für niemanden das Heil.

Dafür könnte von Davos, auch ohne protokollarisch strukturierte Abschlusserklärung, ein kräftiges Signal ausgehen. Wenn es gelingen würde, die Verpflichtung zum Freihandel glaubwürdig zu erneuern, wäre viel erreicht. Darauf hätte sich das Motto des diesjährigen Treffens konzentrieren sollen. Ein früherer Ministerpräsident von Singapur hat es bereits vor zwanzig Jahren so formuliert: "Die Alternative zum Freihandel ist nicht nur Armut, sondern auch Krieg."

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