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Michael Hüther Gastbeitrag 6. September 2007

Genug Staat!

Die Politik hat keinen Plan für eine Grundsatzdebatte über die Aufgaben der "kollektiven Daseinsvorsorge".

Sicher sind Ihnen, verehrte Leser, neuerdings Plakate aufgefallen, die mit dem" Slogan "Genug gespart" auf vermeintliche Missstände hinweisen. Hinter der "Initiative Öffentliche Dienste" verbergen sich die Gewerkschaft Verdi und der Beamtenbund. Eingängig wird die öffentliche Armut bebildert: aufgelassene Bahnhöfe, verwaiste Schwimmbäder, überfüllte Krankenhäuser, verfallene Jugendzentren. Immer wird die gleiche Botschaft suggeriert: Wir haben uns kaputtgespart. Den Gesichtern der abgebildeten Personen sind Sorgenfalten wie tiefe Furchen eingefräst.

Tatsächlich werden uns manipulierte Bilderwelten vorgeführt und fragwürdige Geschichten erzählt. Der Bahnhof ist in Wahrheit nicht verfallen, die dazugehörige Strecke aber schon von der Behördenbahn wegen durchschnittlich fünf Fahrgästen pro Zug stillgelegt worden; seitdem wird ein kundenfreundlicher Busbetrieb angeboten. Das Pflegepersonal in den Krankenhäusern wurde zwar reduziert, doch wegen der spürbar verkürzten durchschnittlichen Verweildauer der Patienten hat sich der Pflegebedarf deutlich vermindert. Der Investitionsstau bei Schulen und die Erfahrung öffentlich-privater Partnerschaft bei der Sanierung zeigen, dass der Staat nicht alles selbst machen muss.

Dennoch haben nicht wenige den Eindruck, dass der Staat zu viel des Guten getan habe und seine originären Aufgaben nicht mehr erfülle. So wird man als Ökonom gerade vom akademisch gebildeten Teil der Verwandtschaft heftig kritisiert, wenn man beim sonntäglichen Kaffeeklatsch die Anstrengungen der Bundesregierung rühmt, einen Weg zur Privatisierung der Staatsbahn zu finden. So ginge das aber nicht, wird entgegnet, schließlich habe man einen Anspruch auf .verlässliche Beförderung von A nach B. Das könne aber nur der Staat gewährleisten. Der Hinweis, dass dies den Beamtenstatus und die Aberkennung des Streikrechts erfordere, führt ebenso wenig zur Befriedung der Gemüter wie die Frage, wo die staatliche Fürsorge denn aufhöre.

Solche Gespräche sind das untrügliche Indiz dafür, dass die Grundsatzdebatte über die Aufgaben des Staates öffentlich zu führen ist. Die Politik hat dafür keinerlei Plan. Denn wie kann man sich erklären, dass im Deutschen Bundestag die Privatisierung der Flugsicherung ohne Probleme gelingt und erst durch den Bundespräsidenten wegen Verfassungsmängeln gestoppt werden muss, während der Besitz von Wohnungen als staatliche Aufgabe verteidigt wird.

Hier wirkt der diffuse Begriff kollektiver Daseinsvorsorge nach, den der Jurist Ernst Forsthoff in den Dreißigerjahren geprägt hat. Der moderne Mensch sei "nicht mehr im Besitze der elementarsten Lebensgüter, ohne die sein physisches Dasein auch nicht einen Tag denkbar" sei. Man kann es in ökonomischen Termini als die fortlaufende Ausweitung der Arbeitsteilung - räumlich wie inhaltlich - beschreiben. Die gegenseitigen Abhängigkeiten nehmen zu. Dies setzt verlässliche Rahmenbedingungen für den Austausch über Märkte ebenso voraus wie ein angemessenes Infrastrukturangebot.

Für Forsthoff trägt der Staat jedoch eine umfassende Daseinsverantwortung, insoweit der Einzelne "die notwendigen oder über das Maß des Notwendigen hinaus erstrebten Lebensgüter nicht durch Nutzung einer eigenen Sache" verfügbar hat. Gemeint war der Abschied von der Subsistenzwirtschaft. Dazu zählen - wie heute noch bei Verdi und Beamtenbund - neben der Versorgung mit Wasser, Gas und Elektrizität die "Bereitstellung der Verkehrsmittel jeder Art, der Post, Telephonie und Telegraphie, die hygienische Sicherung, die Vorsorge für Alter, Invalidität, Krankheit, Arbeitslosigkeit und vieles andere mehr".

Diese Mängelliste individueller Verantwortung vernachlässigt die Frage, ob staatliche Verantwortung auch zwingend staatliche Produktion erfordert. Sie unterstellt ferner, dass technischer Fortschritt und Bildungsexpansion neutral in Bezug auf die Verantwortungsfähigkeit des Einzelnen sind. Dagegen haben wir in den vergangenen zwei Jahrzehnten zunehmend gelernt, dass auch im Bereich der Infrastrukturnetze wettbewerbliche Lösungen möglich sind. Ebenso erweitert der Fortschritt der Kommunikationstechnik die Handlungskompetenz des Menschen.

Vor allem aber: Die Beweislast muss in der Gesellschaft der Freiheit immer aufseiten des Kollektivs liegen. Denn jeder wettbewerbsfreie Bereich birgt die Gefahr leistungslosen Einkommens, wie an dem im europäischen Vergleich hohem Gebührenniveau erkennbar. Bekannt ist dieses Phänomen aus den Grauzonen kommunaler Wirtschaftsbetriebe. Legion sind die Geschichten über darin versteckte Vetternwirtschaft. Fehlender Wettbewerb ignoriert Kundenwünsche und führt zu Effizienzverlusten, da drohende Konkurrenz nicht korrigierend wirkt. Gleichwohl ist seit Ende der neunziger Jahre eine Rekommunalisierung - vor allem in der Entsorgung und der Versorgung - zulasten des Privatsektors zu beobachten.

Nicht unwesentlich begünstigt wird dieser Prozess dadurch, dass deutsche Kommunalunternehmen - im Gegensatz zu denen der meisten europäischen Nachbarn - bei hoheitlicher Tätigkeit von der Umsatzsteuer befreit sind und den damit untersagten Vorsteuerabzug durch Rechtsformgestaltung umgehen können. Die Rekommunalisierung nimmt erfolgte Marktöffnungen zurück; das hat lange Tradition. So wurden ab 1853 in Preußen die Gewinne privater Eisenbahngesellschaften progressiv besteuert, um deren Stammaktien für den Staat erwerben zu können.

Die Aktionäre haben die kommende Verstaatlichung ihrer Bahn quasi selbst finanziert. Es ist endlich an der Zeit, die Mottenkiste kollektiver Daseinsvorsorge zu schließen und konsequent auf Wettbewerb zu setzen.

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