Das Urteil fällt hierzulande eindeutig aus: Das Freihandelskommen TTIP muss unbedingt verhindert werden. Doch das ist ein Irrtum, schreibt IW-Ökonomin Galina Kolev auf ntv.de.
Deutschland braucht Exporte: und TTIP
Es war schon vorab klar, dass es nicht einfach werden würde: Ein Mammut-Freihandelsabkommen zwischen den zwei Großmächten der Weltwirtschaft zu verhandeln und zu verabschieden, klingt nahezu utopisch. Es soll schnell gehen und dennoch weit über den Zollabbau hinausgehen, dabei aber keinesfalls Verbraucherschutzstandards senken. Eine schwere Aufgabe für die Verhandlungsführer.
Doch diese Herausforderung mit Tausenden Nebenbedingungen entpuppt sich als die kleinere Hürde in den TTIP-Verhandlungen. Denn sie lässt sich lösen – unter Einbeziehung von Wissenschaft, Experten und den relevanten Interessengruppen einschließlich der Öffentlichkeit.
Was allerdings die größere Hürde darstellt, ist die Skepsis in breiten Bevölkerungskreisen, die sich rapide ausbreitet. Der Zug ist hier, so hat es aktuell den Anschein, längst abgefahren. Denn auch wenn viele der Argumente gegen TTIP unberechtigt oder zumindest überzogen sind, ist es nahezu unmöglich, dem Albtraum vom Chlorhühnchen etwas entgegenzusetzen. Warum sollte irgendwer plötzlich etwas gut finden, was die Masse längst und für alle Zeit für schlecht erklärt hat?
Doch wer genau ist es eigentlich, der TTIP scheitern sehen will? Allen voran hat sich der deutschsprachige Raum gegen TTIP ausgesprochen: Laut Umfragen der Europäischen Kommission gab es vor einem Jahr nur in drei EU-Ländern eine Mehrheit gegen TTIP – in Deutschland, Österreich und Luxemburg. Ausgerechnet Deutschland! Dabei müssten doch gerade wir es besser wissen: Unsere Exporte belaufen sich auf mehr als 45 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Leistung. Fast ein Zehntel unserer Warenausfuhren setzen wir heute auf dem US-Markt ab. Ausgerechnet Deutschland, wo fast jeder vierte Arbeitsplatz an der Exportwirtschaft hängt. Ausgerechnet Deutschland, das bislang kein einziges Mal vor internationalen Schiedsgerichten gegen ausländische Investoren verloren hat.
Protektionismus schadet
Dennoch läuft die Zeit momentan gegen all jene, die TTIP bald unterzeichnen wollen. Die Skepsis breitet sich aus, und sie ist hoch ansteckend – wir Menschen neigen bekanntlich dazu, uns Schwarzmalereien anzuschließen. Bald sind es drei Jahre seit Beginn der Verhandlungen, bald geht die zweite und damit letzte Amtszeit von US-Präsident Barack Obama zu Ende.
Was passiert danach? Das ist aktuell völlig unklar. Denn TTIP, sein pazifisches Pendant TPP und die Globalisierungskritik insgesamt sind zu Schlüsselthemen im US-Wahlkampf geworden. Manche meinen, das sei nicht allzu schlimm – für die USA. Denn die können es sich leisten, die Exportwirtschaft dort macht gerade mal 13 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus.
Dennoch ist es schlimm. Denn wenn sich die großen Industrienationen für ein Ende der Handelsliberalisierung aussprechen, könnte das letzten Endes den Trend der vergangenen Jahre umkehren. Verdeckte protektionistische Maßnahmen sind heute schon auf dem Vormarsch. Die Welt, die durch den technologischen Fortschritt und offene Grenzen für den freien Warenverkehr kleiner geworden ist, könnte dann größer, ferner und unübersichtlicher werden. Sollte der Protektionismus wirklich weiter um sich greifen, werden wir das in Deutschland schmerzlich zu spüren bekommen – jeder einzelne im Geldbeutel und am Arbeitsmarkt.
Höchste Zeit also, die TTIP-Kritiker zu fragen: Wohin soll all die angeheizte Globalisierungsskepsis führen? Wer soll die Regeln der Weltwirtschaft im 21. Jahrhundert mitbestimmen, wenn nicht wir? Wie sollen wir hier unsere Arbeitsplätze sichern, wenn der neue Protektionismus um sich greift?
Momentan kämpfen die Demonstranten gegen ein Freihandelsabkommen, ohne ernsthaft darüber nachzudenken, dass dessen Scheitern das Ende des Globalisierungsprozesses und des Geschäftsmodells Deutschland zur Folge haben könnte.
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