Die Krise der Staatsfinanzen hat Europa vor neue Herausforderungen gestellt. Ein drohender Staatsbankrott gehörte nicht zur Vorstellungswelt der Währungsunion. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde für ausreichend gehalten, um die Disziplinierung der Finanzpolitik zu erreichen. Heute wissen alle, dass wir uns getäuscht haben: Der Pakt wurde auf Betreiben Deutschlands und Frankreichs geschwächt.
Europa: Fünf Punkte für ein stabileres Fundament
Die Märkte haben zudem den Beteuerungen nicht geglaubt, dass die Mitgliedsländer nicht füreinander haften – deswegen konnten sie nicht disziplinierend wirken. Nach dem hektischen Krisenhandeln geht es nun um Lösungen, die in die Zukunft weisen. Fünf Punkte sind bedeutsam.
1. Schuldenbremsen einführen: Konjunkturpolitik sollte auf Ausnahmesituationen beschränkt werden. Keynes’ Instrumente sind künftig auf das zu beschränken, was seiner Analyse zugrunde lag: die spontane und systemische Unordnung aller wirtschaftlichen Zusammenhänge. Nur dann muss – wie in der Krise ab 2008 geschehen – global konsistent und koordiniert gehandelt werden. Nun aber gilt es, die Schuldenbremse in ganz Europa zu verankern. Viele internationale Vergleichsstudien belegen, dass eine Konsolidierung über die Ausgabenseite Wachstum nicht gefährdet, sondern stärkt.
2. Euro-Rettungsschirm konsequent nutzen: Eine Vergrößerung des Schirms ist nicht notwendig. Nur wenn er begrenzt bleibt, können die Märkte eine differenzierende Würdigung der Staaten entwickeln. Spanien und Portugal sind anders zu bewertenals Griechenland und Irland. Die Einführung von Euro-Bonds, für die alle EU-Staaten gemeinsam haften, wäre fatal. Sie würde in extremer Form wiederherstellen, was ins Desaster geführt hat: die nur auf Fiktion gegründete Zinskonvergenz aller Staatsanleihen aus der Euro-Zone. Die Vergemeinschaftung der Schulden kann nicht die Antwort auf das Fehlverhalten einzelner Staaten sein. Zumal die solideren Länder bestraft würden und die Politiker aller Euro-Staaten noch mehr in Versuchung kämen, kreditfinanzierte Wohltaten zu verteilen.
3. Europa als Mobilitätsgemeinschaft: Die Währungsunion benötigt die Ergänzung um offene Märkte und hochmobile Produktionsfaktoren. Hier müssen noch die letzten Hürden fallen, beispielsweise bei den Dienstleistungen. Vor allem aber muss die Wanderung der Beschäftigten selbstverständlich werden. Die Unterschiede in den Bevölkerungsstrukturen und bei der Arbeitslosigkeit begründen hierfür Potenziale. Die Länder müssen offene und flexible Arbeitsmärkte schaffen. Wichtig ist auch die umfassende gegenseitige Anerkennung von Schul-, Hochschul- und Ausbildungszeugnissen.
4. Europa als Wettbewerbsgemeinschaft: Die unterschiedlichen strukturellen Prägungen der Volkswirtschaften im Euro-Raum wird man nicht einebnen können. Diese Differenzen sollte man aber nicht als Bürde ansehen, sondern als Chance nutzen. Europa hat historisch immer aus dem Spannungsverhältnis von Einheit und Vielfalt gelebt und seine Impulse gezogen. Offenheit für Neues und Anderes, Innovations- und Wagnisbereitschaft hängen daran. Wirtschaftswachstum, das für den Ökonomen immer auch Strukturwandel bedeutet und damit zwingend qualitativ ist, muss an den entwickelten Kompetenzen ansetzen. Eine erfolgreiche Industriepolitik stärkt nicht Branchen, sondern die Faktoren des Erfolgs: Internationalisierung, Innovation, kundenorientierte Differenzierung und Vernetzung. Dazu gehört auch eine stärker gemeinschaftliche Politik in der Infrastrukturentwicklung.
5. Europa als Stabilitätsgemeinschaft: Dauerhaft wird ein Mechanismus für Liquiditätsrisiken und Situationen drohender Zahlungsunfähigkeit von Mitgliedstaaten benötigt. Die Inanspruchnahme einer Solidarleistung muss aber beiden Seiten, Kreditnehmern und Gläubigern, spürbar wehtun, um die Anreize so niedrig wie möglich zu halten. Der projektierte „European Stability Mechanism“ (ESM) weist in die richtige Richtung: Liquiditätshilfen im Gegenzug zu Sparprogrammen, Restrukturierungspläne bei Zahlungsschwierigkeiten, Einbindung des Internationalen Währungsfonds (IWF) sowie „Collective Action Clauses“ in den Bedingungen der Staatsanleihen, die eine schnelle Umschuldung auch gegeneine Minderheit der Gläubiger ermöglichen. Ein Aufkauf von Staatsanleihen sollte dem ESM als Option offen stehen, wenn nur so Märkte stabilisiert werden können. Das entlastet zugleich die Europäische Zentralbank, die bisher häufig mit Käufen einspringen musste, um Anleihemärkte zu beruhigen.
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