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Michael Hüther Gastbeitrag 11. Mai 2006

Freiheit für die einen, der Staat für die anderen

Gut gemeinte, aber schlecht wirkende Politik widerspricht der Idee, auf mehr Verantwortung des Einzelnen zu setzen

"Was immer wir dem Markt übergeben, wird zur Ware." Dies ist als Warnung eines SPD-Granden zur Programmdiskussion aus der jüngsten Zeit überliefert, als es um die Zuständigkeit von Markt und Staat ging. Was will er uns damit sagen? Der Hinweis lebt von der Unterstellung einer Bedrohung: Der Markt funktioniere auf bedenkliche Weise, weil er jegliches zur Ware werden lässt.

Friedrich Engels kann uns bei der Deutung weiterhelfen: "Indem die kapitalistische Produktion alle Dinge in Waren verwandelte, löste sie alle überkommenen Verhältnisse auf, setzte an die Stelle der ererbten Sitte, des historischen Rechts, den Kauf und Verkauf, den freien Vertrag." Aha. Der Markt bedroht die guten, weil überkommenen Sitten, wenn er unter den Bedingungen freier Vertragsbildung wirkt.

Vertragsfreiheit – darauf hat Walter Eucken hingewiesen – gehört aber gerade zu den konstituierenden Prinzipien der Marktwirtschaft. Hier fängt eigentlich alles an: Die freiheitliche Gesellschaft ist das Fundament marktwirtschaftlicher Ordnung. Der Markt fungiert als großer Transformator individueller Wünsche, als hierarchiefreie Koordination der freien Teilnehmer. Der Markt bewirkt bei hoher Wettbewerbseffizienz die Teilung ökonomischer Gewalten, die Begrenzung und Befristung ökonomischer Macht. Der Blick auf das Verhältnis von Staat und Markt dreht sich damit: Muss nicht grundsätzlich der Markt viel eher vor dem Staat geschützt werden? Muss nicht das System der Freiheit gegen den Agenten hierarchiegestützter Macht verteidigt werden?

Dagegen lebt die Kritik am Markt von einem erstaunlichen Glauben an die Kompetenz des Staates. In der sozialdemokratischen Programmdebatte wird gerne der Satz bemüht: "Die Leute, die wir vertreten, brauchen das Machtmonopol des Staates." Die Freiheit also für die einen, der Staat für die anderen?

Ein gutes Beispiel für die Fehlorientierung, die von diesem Gedanken ausgeht, liefert die Debatte um den Mindestlohn. Sittenwidrige Löhne – hier leben wieder die guten Sitten auf- sollen vermieden werden, weil sie ein auskömmliches Leben aus Erwerbseinkommen nicht ermöglichen. Mit einem Mindestlohn von 7,50 Euro je Stunde hofft man, dies zu erreichen.

Damit aber wird die Vertragsfreiheit für Arbeitgeber sowie für jene Arbeitnehmer eingeschränkt, die aus welchen Gründen auch immer nicht in der Lage sind, mit ihrer Leistungsfähigkeit bei Marktlöhnen ein Lebensstandardeinkommen zu erzielen. Die Folgen sind klar: Die Arbeitsplätze verschwinden, viele Menschen werden dann vollends am Tropf des Sozialstaats hängen.

Dabei hatte sich die letzte Bundesregierung mit dem Arbeitslosengeld II und der Einkommensergänzung für niedrige Arbeitslöhne erst grundsätzlich der Einsicht geöffnet, dass es nun einmal eine derartig begrenzte Leistungsfähigkeit gibt. Intelligente Lösungen leben von der Kombination marktwirtschaftlicher Steuerung und staatlicher Begleitung. Wer auf Einkommensergänzung zum Arbeitslohn für Bedürftige setzt, der negiert zugleich die These vom zwangsläufigen Gegeneinander von Staat und Markt.

Die Beispiele irreführender staatlicher Kompetenzvermutung lassen sich beliebig erweitern. Die Gesundheit darf nicht zur Ware werden, auch das Gut Bildung nicht. In diesen und anderen Feldern der Politik hat aber gerade der Markt bisher wenig bis gar keine Steuerungsfunktion.

Warum entstehen Ängste vor dem Markt, wo doch das Versagen des Staates offenkundig wurde? Ist es doch das Urgefühl, dass hier unter der Überschrift Freiheit den guten Sitten übel mitgespielt wird?

Die Empörung bestimmter Kreise jedenfalls ist jedem sicher, der für Gesundheit und Bildung umfassende Reformen fordert, die so weit wie möglich die Effizienz des Marktes und damit die Lenkung über knappheitsbestimmte Preise einbinden. Vielleicht ist es aber auch nur so, dass die Akteure der politischen Debatten diese Ängste weitaus stärker auf die Bürger projizieren, als sie tatsächlich vorhanden sind.

Der soeben erschienene Projektbericht "Perspektive Deutschland 2005/06", der auf einer breiten Onlinebefragung beruht, ergibt ein ziemlich anderes Bild: Danach fordert eine Mehrheit der Deutschen "mehr Markt", und nur 13 Prozent fordern ein stärkeres staatliches Engagement. Wichtig ist ihnen aber ebenso der soziale Ausgleich, was im Projektbericht zum Leitbild der "sozialen Leistungsgesellschaft" führt. Zudem wird deutlich, dass die. Deutschen über ein ausgeprägtes Leistungs- und Arbeitsethos verfügen. Eine politische Antwort auf diese Befunde liegt in der Stärkung von Leistungsanreizen staatlicher Sozialleistungen. Eigenverantwortung soll ernst genommen werden.

Entsprechende Hinweise geben auch empirische Analysen: Dabei wird deutlich, dass Niedriglohnbezieher zumeist – genau zu 86 Prozent – nicht arm sind. Die Ursache von Armut bei Erwerbstätigen liegt regelmäßig nicht in niedrigen Löhnen, sondern in geringen Arbeitszeiten – Teilzeit oder geringfügiger Beschäftigung – begründet. Ein Mindestlohn kann hier nicht helfen, es sei denn, wir wollten auch Mindestarbeitszeiten definieren. Das will nun wirklich niemand.

Ein Kombilohn wie diese Woche von der Union präsentiert geht ebenfalls am Problem vorbei, öffnet aber über die Subventionierung der Arbeitskosten zu 40 Prozent umfangreichen Mitnahmeeffekten die Tür.

Die Beispiele zeigen, wie leicht programmatische Thesen trotz oberflächlicher Logik versagen, wenn es zum Rendezvous mit der Realität kommt. Gut gemeinte, aber schlecht wirkende Politik widerspricht den guten Sitten, die auf Freiheit und Verantwortung setzen. Lassen wir dem Markt mehr Raum.

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