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Michael Hüther Gastbeitrag 18. September 2008

Drama mit großem Finale

Vor übereilten Regulierungsversuchen muss die Selbstheilung der Finanzmärkte erprobt werden.

Von einer gewaltigen Schockwelle sind zu Beginn der Woche die Finanzmärkte erfasst worden. Was vor gut einem Jahr begann, erweist sich immer mehr als großes Drama in (mindestens) fünf Akten. Haben wir soeben mit dem dritten Akt zugleich den Höhepunkt wie die Wendung der Handlung erlebt oder bereits den fünften Akt mit dem Schlusspunkt? Die Peripetie als unerwartete, doch angelegte Wendung vom Glück ins Unglück wurde im vergangenen Sommer aufgeführt, als die Krise aufbrach. Nun wird der fünfte Akt gegeben, der das Drama entweder in die Katastrophe oder aber zur Lösung aller Konflikte führt.

Ob Lösung oder Katastrophe – nach dem Erleben dieser Tage fällt die Prognose schwer. Eines jedoch kann erwartet werden: Die Funktionsfähigkeit des Bankensystem wird trotz des Verschwindens einzelner Institute durch die Notenbanken abgesichert werden. Die Lehren früherer Krisen sind eindeutig. Daher haben die Notenbanken in dieser Woche weltweit in großem Umfang Liquidität bereitgestellt und die Kriterien für die Geldbeschaffung gelockert. Allein die EZB hat zig Milliarden Euro in die Märkte geschleust.

Die Fed hat ähnlich hohe Beträge bereitgestellt und daneben die Kreditlinien für die Finanzinstitute ausgeweitet.

Jede Krise ist immer auch eine Chance. Der Umsturz bestehender Strukturen schafft Raum für Neues – im Denken wie im Handeln. Aufgestauter Anpassungsbedarf kann meist nur unter Zuspitzungen aufgelöst werden. So enttarnt eine Krise den Versuch als nicht tragfähig, Entwicklungen bis zum Exzess linear fortzuschreiben, ebenso wie das Denken in Einbahnstraßen. Denn was ist anderes an den Finanzmärkten passiert, als inseitig bestimmte Innovationen und Strukturen zu forcieren. Dass es auch anders gehen kann, wurde nicht nur ausgeblendet, sondern als Häresie verurteilt. Allein in der Finanzintermediation über Märkte lag angeblich das Heil.

Die Neuordnung unter den Finanzinstituten gleicht bisher freilich eher einem Trümmerfeld, die künftige Struktur ist nur in Andeutungen zu erkennen. Wir müssen wieder lernen, frei und ohne Geländer zu denken.

Banken brauchen einen festen Anker im heimischen Markt, das klassische Geschäft mit Privatkunden und Unternehmen wird seine Bedeutung sichern. Jeweils steht das hohe Gut Vertrauen im Mittelpunkt, das eine Anonymisierung nur in Grenzen verträgt. Zugleich werden wir bescheidener werden müssen in den Ansprüchen an Finanzinnovationen und Finanzmärkte. Standardisierung, Einfachheit und Transparenz lauten die Stichworte.

Eine Folge der jetzigen Krise dürfte auch die Entzauberung mancher Moden sein und damit grundsätzlich die Entzauberung von Moden für das Management. Die nur vordergründig bieder erscheinende Perspektive des ehrbaren Kaufmanns gewinnt neu an Strahlkraft.

Dazu gehört, nur Dinge zu tun, von denen man etwas versteht. Dazu gehört ebenso eine gesunde Skepsis gegenüber käuflichen Wunderwerken mit mathematischer Eleganz. Das freilich setzt Selbstvertrauen voraus. Die Aussage, Investment-Banking sei nur die systematische Suche nach einem Dümmeren, ist durch die gegenwärtige Krise, die Profis zu verantworten haben, nicht eben als Verleumdung widerlegt worden.

So düster sah es lange nicht aus. Die Sorgen um die Konjunktur wachsen, die Unsicherheiten über die Infektion der Realwirtschaft sind riesig. Man bewegt sich in den Prognosen von einem dramatischen Blick in den Abgrund bis hin zu einer naiv anmutenden Verdrängung besonderer Konjunkturrisiken. Zwischen diesen beiden Polen dürfte die realistische Prognose liegen. Die Anpassungsflexibilität marktwirtschaftlicher Systeme wird während einer Krise gemeinhin unterschätzt. Die Erfahrungen vom Beginn des Jahrzehnts sollten jetzt Mut machen. Schließlich war seinerzeit eine Häufung von Schocks zu verarbeiten.

Die besondere Schwere dieser Krise führt dazu, dass des Öfteren die Gefahr einer Stagflation beschworen wird. Die Verwendung dieses Begriffs geschieht jedoch allzu leichtfertig. Ende der siebziger Jahre führte eine nachhaltige Wachstumsschwäche kombiniert mit monetär angetriebener Inflation zu ebenjenem Phänomen. Die zweite Ölverknappung wirkte in ein allgemein inflationäres Umfeld hinein, für das neben der Geldpolitik ebenso die Finanzpolitik wie die Lohnpolitik verantwortlich waren. So schrieb der Sachverständigenrat: „Im Übrigen ging fast alles schief.“

Heute konstatieren wir vor allem eine Veränderung der relativen Preise – getrieben durch die Entwicklung an den Weltrohstoffmärkten – mit Konsequenzen für das Preisniveau. Das Risiko einer Stagflation hängt wiederum an einer unpassenden Wirtschaftspolitik. Wer den Staat zu höheren Ausgaben, die Geldpolitik zu niedrigeren Zinsen und die Lohnpolitik zu kräftigen Erhöhungen animiert, der sollte auf die Risiken hinweisen. Die Finanzmarktkrise selbst ist nicht unwesentlich durch die recht laxe Geldpolitik in den USA zu erklären. Gleichzeitig beschreibt diese Krise durch das Risiko einer Kreditklemme ein angebotsseitiges Problem.

Worum muss es heute gehen? Der Preisdruck bei den Rohstoffen mindert sich, die Konjunktur gewinnt Luft. Die Wirtschaftspolitik sollte die Anpassungsfähigkeit der Unternehmen im Blick haben. Vor übereilten Regulierungen steht die Selbstheilung der Märkte. Massives Fehlverhalten sollte wichtige Finanzinnovationen nicht desavouieren. Es geht um die nüchterne Bewertung der damit verbundenen Risiken und Chancen. Die zentrale Lehre dieser Krise liegt in dem Plädoyer für mehr Skepsis gegenüber einem Denken in Einbahnstraßen. Und das betrifft alle.

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