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Michael Hüther Gastbeitrag 12. Februar 2009

Die Verantwortung der Ökonomen

In der deutschen Volkswirtschaftslehre gibt es ordnungspolitischen Innovationsbedarf.

Ein Wechsel im Amt des Bundeswirtschaftsministers führt zu besonderen öffentlichen Reaktionen. Unabhängig von den betroffenen Personen wird entweder die Fragwürdigkeit dieses Ministeriums erörtert oder dessen besondere Funktion im Reigen der Bundesressorts beschworen. Klagen, wonach die Führung dieses Hauses nicht mehr mit ordnungspolitisch versierten und profilierten Köpfen besetzt worden sei, gibt es seit langem.

Immer noch überstrahlt die Vergangenheit mit Ludwig Erhard und Karl Schiller, aber auch mit Otto Graf Lambsdorff die Gegenwart. Dies stellt weniger die nachfolgenden Minister in den Schatten als vielmehr die gesamte politische Klasse, die den Funktionskern des Ministeriums – seine prinzipielle Unbequemlichkeit – nicht mehr anerkennen will oder reaktivieren kann. So oder so, ein bedenklicher Befund.

Nun ist es weder fair noch angemessen, sich als Ökonom außerhalb der Verantwortung zu sehen. Denn einerseits hilft es wenig, wenn der berechtigte Befund nur in eine Klage überführt wird, und andererseits sollte nicht verkannt werden, welchen Anteil die Volkswirtschaftslehre an der ordnungspolitischen Sprachlosigkeit hat. Die Arbeit an der Konzeption der marktwirtschaftlichen Ordnung gehört kaum noch zum Lehr- und Forschungskanon der deutschen Fakultäten. Im Lichte US-amerikanischer Entwicklungen erschien vielen vieles davon obsolet.

Es ist nicht unähnlich der Entwicklung in der Bankenwelt, die sich dem Dogma des Investment-Bankmgs beugte und verschrieb. Ebenso unkritisch wie unreflektiert wurden und werden in der Ökonomie Trends aus den USA übernommen, überhöht und verengt. Im Mittelpunkt steht die Wahl der richtigen, d. h. mathematisch-formalen Methode und nicht mehr das Streben nach politischer und öffentlicher Relevanz in den Forschungsergebnissen. Man fühlt sich an den Methodenstreit in der Ökonomik vor 100 Jahren erinnert. Eigentlich dachten wir, das überwunden zu haben.

Natürlich gab es erheblichen Innovationsbedarf in der deutschen Volkswirtschaftslehre. Die Stärkung der empirischen Forschung, der Ausbau der mathematisch-formalen Methodenkompetenz, die Weiterentwicklung verhaltensökonomischer Ansätze stehen beispielhaft für die Anstrengungen der letzten Jahrzehnte. Doch rechtfertigt dies nicht, wichtige Theoriestränge einfach aufzugeben. Mehr als nur symbolhaft steht dafür der Beschluss der Kölner Wirtschaftsfakultät, die in der Tradition von Müller-Armack stehenden Lehrstühle für Wirtschaftspolitik zu streichen.

Der Verlust an ordnungspolitischer Reflexion ist jetzt besonders schmerzlich, weil dadurch die Chance verbaut wird, ohne falsches Moralisieren in einem breiten Diskurs die Ursachen der Krise insgesamt zu werten. Stattdessen muss sich die Volkswirtschaftslehre vernichtender Kritik stellen, wie sie exemplarisch in der letzten Ausgabe von „Foreign Policy“ zu lesen war: „Die Finanzkrise hat den Anspruch der Wirtschaft, als Wissenschaft anerkannt zu werden, erstickt. Ebenso wie Wall Street und Main Street benötigen auch die Ökonomen ein Rettungspaket.“ Der Generalverriss ist verständlich, verkennt aber die unterschiedlichen Strömungen in der Ökonomie und ihren Anteil an Verantwortung. Neben einer neoklassischen Finanzmarkttheorie, die Institutionen und Informationsprobleme explizit ignoriert, geht der Blick auf die seltsame Allianz aus Ökonomen von Investmentbanken und solchen, die sich dem linken politischen wie auch gewerkschaftsnahen Spektrum zurechnen. Diesen war die europäische Geldpolitik stets zu restriktiv, zu wenig konjunkturorientiert, zu unmodern, kurz: zu bundesbankdeutsch.

Diese Krise bestätigt hingegen, was schon Walter Eucken als konstituierenden Grundsatz marktwirtschaftlicher Ordnung benannte: die Konstanz der Wirtschaftspolitik und das Primat der Währungspolitik. Gemeint war damit die Stabilitätsorientierung der Geldpolitik, um – so Eucken – über die „Stabilisierung des Geldwertes den Wirtschaftsprozess selbst stabilisieren zu können“. Die Politik der Fed hat deshalb im Ergebnis einen Teil der Verantwortungslast an dieser Finanzkrise zu tragen. Eine ordnungspolitisch orientierte Volkswirtschaftslehre muss sich da nicht verstecken.

Die Ordnungspolitik und jene, die sich ihr verschrieben haben, sollen nicht heiliggesprochen werden. Nachlässigkeiten und Fehleinschätzungen finden sich auch hier. Dennoch: Die Ordnungspolitik vermag durch ihre Fokussierung auf die prinzipielle Verantwortungsteilung zwischen Staat und Individuum nicht nur die öffentliche Debatte über zeitgemäße Lösungen zu befördern, sondern ebenso der ökonomischen Zunft ein Rettungspaket zu bieten.

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