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Michael Hüther in der FAZ Gastbeitrag 15. März 2009

Die Krise als Waterloo der Ökonomik

Ordnungsökonomik galt als altmodisch. Die Weltfinanzkrise ist aber entstanden, weil gegen fundamentale ordnungspolitische Grundsätze verstoßen wurde.

/Home/Hüther/tabid/1844/Default.aspxOrdnungspolitik – das klang einst langweilig und ziemlich deutsch. Die Weltfinanzkrise hat das geändert, auf der Oberfläche der politischen Rhetorik wie in der ernsthaften Erörterung der Krisenursachen und der Bewältigung. Es gibt eine zarte Renaissance ordnungspolitischen Denkens. Dessen Kompetenz liegt in der systematischen Klärung der Verantwortungsteilung zwischen Individuum und Staat in einer Gesellschaft der Freiheit. Genau an dieser Stelle sind in unseren Tagen die Ratlosigkeit und der Orientierungsbedarf groß.

Die Ordnungsökonomik als Disziplin der Volkswirtschaftslehre entstand in der Auseinandersetzung mit der Weltwirtschaftskrise nach 1929. Ähnliche Fragen wie heute waren damals zu beantworten: Wie weit trägt der unregulierte Markt? Wann und wie kommt es zu Fehlentwicklungen eines freiheitlichen Systems, die sogar dessen Existenzberechtigung in den Augen vieler in Zweifel ziehen? Walter Eucken, der Mitte des vergangenen Jahrhunderts die Grundzüge der Ordnungstheorie formulierte, erkannte das "Problem der wirtschaftlichen Macht" als die Kehrseite des Strebens nach Freiheit. Macht gilt es zu begrenzen, private wie staatliche. Dazu imstande ist allein, wie Eucken betonte, eine Wettbewerbsordnung.

Kern der Wettbewerbsordnung ist ein funktionsfähiges Preissystem. Der Preismechanismus zeigt die relativen Knappheiten an, er lenkt die Ressourcen in ihre jeweils besten Verwendungen, er treibt an zu Effizienz und Innovation. Der Preismechanismus ist sachlich und privilegienfrei, er honoriert allein die Leistung. Aus diesem übergeordneten Grundsatz leiten sich weitere konstituierende Ordnungsprinzipien stimmig ab.

Faszinierend ist es, heute Eucken zu lesen, weil zentrale Ursachen der aktuellen Weltkrise gerade in Verstößen gegen seine ordnungspolitischen Grundsätze zu sehen sind. Da ist beispielsweise seine Forderung nach einem "Primat der Währungspolitik", der dazu dient, quasi automatisch – regelgebunden durch eine autonome Institution – den Geldwert dauerhaft zu stabilisieren. Man wird an die Kritik erinnert, die bis vor kurzem die Europäische Zentralbank angesichts einer scheinbar so modernen Geldpolitik der amerikanischen Notenbank Fed zu hören bekam. Modern sei anders, konjunkturorientiert. Dass die expansive Politik der Fed freilich sowohl durch die Belebung der Immobilienpreise wie durch die Aufblähung der Bankbilanzen mit Fremdkapital am Anfang der Problemkette bis zur Weltfinanzkrise steht, bezweifelt inzwischen niemand mehr ernsthaft.

Weiter betonte Eucken das Prinzip der offenen Märkte. Es richtete sich gegen die Abschottung vor Konkurrenz, sei es durch staatliche Regulierung oder Zölle, sei es durch private Behinderung. Die Entwicklung des amerikanischen Bankensystems zeigt, wie schwer die einmal definierte Restriktion – der Glass-Steagall Act von 1932/33, der das "Trennbankensystem" begründete – zu korrigieren ist, ohne die Tür für private Behinderungsstrategien zu öffnen. Das Investmentbanking war nicht durch bestreitbare Machtpositionen gekennzeichnet. Die Dominanz einiger Institute im provisionsträchtigen Geschäft schaffte ihnen Freiräume. Kombiniert mit den Fehlanreizen, die auf kurzfristigen Erfolg ausgerichtete Bonussysteme setzen, haben diese Institute einen Brandbeschleuniger in den Krisenherd der Verbriefungsindustrie geworfen.

Das Privateigentum stellte Eucken ebenfalls strikt in den Kontext des Wettbewerbs. Nur so könnten die Verfügungsmacht und die Verfügungsfreiheit des Eigentümers nicht gegen die Gemeinschaft gewendet werden. Was aber ist gehaltvoll als Eigentum zu bezeichnen? Traf dies für jene Hausbesitzer in Amerika zu, deren Einkommensperspektive eine Tilgung ihrer übergroßen Kredite fast ausschloss? Sicher nicht, mit diesem Eigentum war kein nachhaltiges Verfügungsrecht verbunden. Auf solchen Grund kann die Marktwirtschaft nicht gebaut werden.

Vertragsfreiheit ist höchst bedeutsam für die dezentrale Steuerung in der Wettbewerbsordnung. In Amerika war sie aber zum Teil eingegrenzt, denn der von Präsident Carter eingeführte und von Clinton verschärfte Community Reinvestment Act nahm Banken in die Pflicht, vergünstigte Kredite in ihren Gemeinden bevorzugt an wirtschaftlich schwache Personen auszureichen. Dieser Eingriff in die Vertragsfreiheit hat zusammen mit der Beschränkung von Bauland dazu beigetragen, die regionalen Immobilienmärkte zu überhitzen. Der Häuserpreisboom wiederum hat die Hypothekenblase aufgebläht.

Verträge zu Lasten der Vertragsfreiheit – etwa zur Bildung von Kartellen – sind zu unterbinden, forderte Eucken. Dies gilt auch für Verträge, die Haftung ausschließen. Haftung ist elementar für die Ordnung der Freiheit, sie zu wahren ist ein weiteres konstituierendes Prinzip. "Jede Beschränkung der Haftung", schrieb Eucken, "löst eine Tendenz zur Zentralverwaltungswirtschaft aus." Der Haftung entzogen sich Banken durch den vollständigen Verkauf der Hypothekarkredite, statt das endogene Risiko der Kreditbeziehung – wie es der Theorie der Verbriefung entspricht – in den eigenen Büchern zu halten. Der Haftung entzogen sich auch die Investmentbanken, die keine Garantie für den in den Verbriefungen zugesagten Schuldendienst übernahmen.

Die Ordnungsökonomik hat einen hohen analytischen Wert. Doch warum stößt dieser gerade in der jetzigen Krise so wertvolle Ansatz auf so viel Ablehnung in der zeitgenössischen Ökonomik? Ihr Wunsch, den Naturwissenschaften vergleichbar zu sein, hat die Neigung zur Formalisierung gefördert. Die ökonometrisch fundierte Forschung, die Verhaltensökonomik, die Institutionenökonomik sind beispielhaft als wichtige Innovationen zu nennen. Und doch kann die Ökonomik nie Naturwissenschaft sein. Sie sollte es auch nicht versuchen, denn sie hat es nicht mit objektiven Tatsachen zu tun und mit daraus herleitbaren Gesetzen, sondern mit der Interaktion subjektiver Menschen.

Der Ordnungsökonomik wird zudem regelmäßig der Ideologievorwurf gemacht. Doch auch dies geht fehl. Erst wenn sich die Ordnungstheorie konstruktiv zur Ordnungspolitik wendet, erfolgt eine normative Setzung. Und an dieser kommt niemand vorbei, der es als Auftrag des Wirtschaftswissenschaftlers begreift, sein Wissen auf die praktische Politik zu beziehen. Wer Politik berät, muss einen normativen Kompass haben und diesen offenlegen. Dies zu ignorieren hat einen hohen Preis: Die derzeitige Krise war das Waterloo der Ökonomik.

Professor Dr. Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln.

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