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Michael Hüther Gastbeitrag 26. Februar 2009

Die Fundamente unserer Ordnung

Selbst in dieser schweren Krise dürfen wir die Substanz der freien Marktwirtschaft nicht aushebeln.

Verstaatlichung, Enteignung, Staatsbankrott: Die Perspektiven staatlichen Handelns bewegen sich derzeit zwischen beachtlichen Extremen. Wird auf der einen Seite die umfassende Heilung vom Staat erwartet und gefordert, so wird auf der anderen Seite das große Unheil durch den Staat an die Wand gemalt. Beides liegt näher beieinander, als der erste Anschein vermittelt. Dass sich die öffentliche und mediale Debatte in diesem Spannungsbogen bewegt, deutet auf große Ratlosigkeit hin. Es sind verdammt schwere Zeiten. Überdies fehlt uns ein Erfahrungsschatz.

Wir müssen uns in dieser Krise mit Fragen auseinandersetzen, für die wir in guten Zeiten nicht vorgedacht haben. Uns fehlte die Fantasie oder auch nur die Vorstellung, wie es zugehen könnte, wenn sich die durchaus viel beschworenen systemischen Risiken der Finanzkrisen einmal materialisierten. Nun ist es knüppeldick gekommen, und wir hecheln den Entwicklungen hinterher. Niemand kann auf einen Masterplan aus dem Handbuch der Weltkrisen zurückgreifen. Es bleibt die Frage, wie man der Gefahr des Beliebigen und des langfristigen Schadens entgeht.

Vielleicht hilft uns ein Gedankenexperiment im Sinne des Philosophen John Rawls. Ziehen wir für einen Augenblick einen Schleier der Unwissenheit vor die aktuellen Verwerfungen. Versetzen wir uns in eine Situation spannungsfreier gesamtwirtschaftlicher Expansion ohne globale Gefährdungen. Was würden wir als Leitlinien aufschreiben für den Fall einer denkbaren, aber noch nicht erlebten Funktionskrise der marktwirtschaftlichen Ordnung? Wie würden wir den Spielraum definieren, der bedingt Abweichungen von den Grundprinzipien dieser Ordnung zuließe?

Wenn das System der dezentralen Steuerung über Märkte funktionieren soll, dann muss der Preismechanismus bei wettbewerbsintensiven Märkten funktionsfähig sein. Darauf alles auszurichten heißt vor allem, so Walter Eucken, die Währungspolitik auf die Stabilität des Geldwertes zu verpflichten, die Märkte offenzuhalten, das Privateigentum – kontrolliert durch die Konkurrenz – zu garantieren, die Vertragsfreiheit als Grundlage des Wettbewerbs zu schützen und nicht zur Gefährdung desselben werden zu lassen, die Haftung als unverrückbares Prinzip zu etablieren.

„Jede Beschränkung der Haftung löst eine Tendenz zur Zentralverwaltungswirtschaft aus.“ Wer wollte angesichts der Verstaatlichung von Banken und der erwogenen Staatsbeteiligung bei Industrieunternehmen dieser Einsicht Walter Euckens widersprechen. Als Freibrief ist das freilich nicht zu verstehen, sondern eher als Drohung gegen Unachtsamkeiten. Doch wenn solche Nachlässigkeiten nun einmal wirksam wurden, was dann? Sind die erwähnten Grundsätze dann frei disponierbar, hier etwas Verstaatlichung der Hypo Real Estate, dort etwas Staatsbeteiligung bei Opel?

Man muss die Probleme sauber differenzieren. Die Verstaatlichung der HRE durch Enteignung verstößt gegen den Grundsatz des Privateigentums. Dies zu tun würde man unter dem Schleier der Unwissenheit nicht zulassen. Die faire Entschädigung auf dem Verhandlungsweg sollte zum Ziel führen. Die Möglichkeit, eine Bank staatlich zu lenken, würde wohl nur befristet und konditioniert durch einen exakt definierten Ausstieg eröffnet. Damit trüge man dem Verantwortungsgebot des Staates Rechnung, die Stabilität des Wirtschaftssystems als öffentliches Gut zu gewährleisten.

Bei dem in Not geratenen Automobilhersteller Opel ging es im Spätherbst zunächst um eine Bürgschaftsbrücke über nicht selbst verschuldete Liquiditätsprobleme. Derlei konnte man nicht brüsk ablehnen. Doch jetzt geht es um Unternehmensstruktur und Geschäftspolitik; eine staatliche Hilfe bis zur direkten Beteiligung wird politisch erwogen. Hier würde man unter dem Schleier der Unwissenheit eine strenge Grenze ziehen: Jeder Eingriff in Unternehmenspolitik macht den Staat zum einseitigen Mitspieler, verändert die Wettbewerbsverhältnisse und hebelt die Haftung aus.

Wir dürfen auch in dieser schweren Krise nicht das infrage stellen, was den Kern unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung ausmacht. Die Abgrenzung muss unmissverständlich sein. Dann gewinnt man zugleich reputationsneutral den Freiraum, den Staat an anderer Stelle möglicherweise neu in Stellung zu bringen. Die Absicherung der Spareinlagen, die Bürgschaften für das Finanzsystem, die Hilfen auf beiden Seiten der Bankbilanz sind da zu nennen. Wer hingegen Hand an die Fundamente der Ordnung anlegt, dem traut man schließlich alles zu. Dann dürfen auch unsinnige Debatten über einen allfälligen Staatsbankrott nicht verwundern.

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