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(© Foto: gemena communication - Fotolia)
Michael Hüther im Handelsblatt Gastbeitrag 14. Januar 2010

Der Nationalstaat ist kein Auslaufmodell

Auch in Zeiten der Globalisierung ist nationale Führungsstärke unverzichtbar. Sie legt den Grundstein für internationale Koordination.

Eine eigenartige Stimmung durchzieht das Land. Fest im Griff von „Daisy“ und ihren Schneeverwehungen scheint es so, als sei auch der politische Betrieb erstarrt. Regierung und Opposition rufen schon nach einem wirklichen Start in diese Legislatur. Doch die Zweifel aus den Regierungsparteien an der eigenen Linie lassen nicht nur das Fehlen einer politischen Vision deutlich zutage treten, sondern sie werfen ein Schlaglicht auf den Mangel an überzeugenden Antworten auf die Krise.

Manch einer flüchtet sich dabei in die offenbar eingängige These, dass es nationale Politik nicht mehr gebe, sondern nur noch Weltpolitik. Dass die von der Bundesregierung angekündigte Reform der Finanzaufsicht frühestens in der zweiten Jahreshälfte kommen werde, wurde jüngst so begründet. Doch seit wann hängen die Hausaufgaben vom Handeln anderer ab? Dieser Reflex fügt sich in eine seit langem im politischen Diskurs zu beobachtende Strategie, das Nationale in den Hintergrund zu schieben und europäische Vorgaben sowie internationale Abhängigkeiten als Vorwände in den Vordergrund zu stellen.

Fast gewinnt man den Eindruck, der Nationalstaat sei nur noch ein Relikt. Der drohende Zusammenbruch der Finanzmärkte hat indes das Gegenteil deutlich gemacht: Im Ausnahmezustand ist nur der Nationalstaat handlungsfähig. Erst die demokratische Legitimation durch den Souverän eröffnet der Regierung überhaupt die Möglichkeit, akuten gesellschaftlichen Gefahren für Leben, Freiheit oder Eigentum im rechtsverbindlichen Rahmen aktiv zu begegnen. Im Extremfall und nur vorübergehend kann die Bindung der Exekutive an Recht und Gesetz nachrangig und der Rechtsschutz der Bürger gegen hoheitliche Maßnahmen verkürzt werden.

Trotz Globalisierung ist der Nationalstaat unverzichtbar. Zwar begründet der institutionelle Wettbewerb unterschiedlicher staatlicher Lösungen Anpassungsdruck. Doch enthebt dies den Souverän und seine Beauftragten nicht der Pflicht, zu entscheiden und dafür Verantwortung zu tragen. Wenn nationale Gestaltungsspielräume sich verengen und internationaler Koordinierungsbedarf zunimmt, so begründet dies nicht die Aushöhlung demokratischer Legitimation durch supranationale Institutionen, und erst recht macht es den Nationalstaat nicht zum Irrtum der Moderne.

Dies gilt umso mehr, weil umfassende Ordnungen ? also solche, die die Welt der technischen Möglichkeiten, die Welt des Rechts und der Politik mit der Welt der moralischen und ethischen Orientierungen einigermaßen verbinden ? nur im nationalen Kontext überhaupt realisierbar sind. Dort aber leisten wir uns wie der Streit in den Regierungsparteien offenbart, gerade den Verzicht auf die große, durch Werte fundierte politische Vision über das Miteinander von Staat und Bürger, von öffentlichem Raum und Privatheit. Wir sollen noch nicht einmal darüber debattieren.

Dagegen verzehren wir uns im internationalen Kontext in moralisierenden Diskursen? Kopenhagen lässt grüßen. Der internationalen Sphäre fehlt aber die Möglichkeit, Ordnungen von Moral und Ethik zu konstruieren. Denn die nationalen historischen Prägungen und kulturellen Ausformungen bestimmen einen eigenen Wettbewerb. Globale Diskurse mit ethischem Impetus zu führen mag zwar ehrenwert sein, es wird aber nichts zur Lösung gemeinsamer Probleme beitragen. Auch ein Kodex nachhaltigen Wirtschaftens kann nicht viel, wahrscheinlich gar nichts bewegen.

Unsere Epoche wird von mannigfaltigen Ressourcenfragen geprägt, dafür benötigen wir ein gemeinsames Verständnis über die Regelung des Zugangs und der Verteilung. Dabei müssen wir uns auf Fairnessregeln verständigen, beispielsweise auf die Reziprozität von Vertrauen und Abhängigkeit, die Privilegienfreiheit des Ressourcenzugangs sowie die Symmetrie der Zumutungen und Anpassungen. Auf solcher Grundlage könnte das Miteinander der Regionen gelingen, die sich gleichzeitig immer stärker auf die eigenen Voraussetzungen und Bedingungen beziehen.

Was in diesem Sinne Europa schon lange prägt und in Amerika sich entwickelt, hat zum Jahresanfang mit der Asiatischen Freihandelszone neuen Schwung erhalten. In einer Welt vernetzter Staaten und Bündnisse haben wir noch keine Lösung für eine effiziente Koordination von Interessen. Die G2O ist erst der Anfang. Hören wir endlich auf, anderen unsere Wertvorstellungen heilbringend anzupreisen, und beginnen wir, unseren öffentlichen Raum verantwortlich zu gestalten. Die europäische Integration verlangt es uns geradezu ab. Ohne nationale Identität wird supranationale Gestaltung auf Dauer nicht funktionieren können.

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