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Michael Hüther im Handelsblatt Gastbeitrag 29. Juli 2020

Wir brauchen eine Investitionsunion

Beim Streit um Zuschüsse oder Darlehen ging es nicht darum, eine Schuldenunion zu verhindern. Soll Europa vorankommen, brauchen wir mehr gemeinsame Schuldenaufnahme, schreibt IW-Direktor Michael Hüther in seiner Kolumne für das Handelsblatt.

Sebastian Kurz, für manche in Deutschland eine politische Sehnsuchtsfigur, hat sich nach dem EU-Gipfel gebrüstet, eine „Schuldenunion durch die Hintertür“ verhindert zu haben. Man reibt sich etwas die Augen und fragt sich verwundert, ob und wie dies durch die Reduktion der Transfermittel von zuvor geplanten 500 auf 390 Milliarden Euro bewirkt werden konnte. Denn niemand hat sich – zu Recht – dagegen gewandt, die Mittel für den „EU-Aufbaufonds“ durch die Begebung von europäischen Anleihen zu finanzieren.

Der Streit ging vor allem um die Refinanzierung; also darum, ob die Hilfeempfänger Zins- und Tilgung künftig allein zu leisten haben – und somit nur durch einen Zinsvorteil sowie eine tilgungsfreie Zeit profitieren – oder ob dies durch alle EU-Staaten solidarisch zu leisten ist.

Italien ist EU-Nettozahler. Die Nettoposition war 2018 mit gut fünf Milliarden Euro nur etwas geringer als die französische mit 6,2 Milliarden Euro. Das Land ist also grundsätzlich an der künftigen Refinanzierung beteiligt. Ob sich hinreichend neue Eigenmittel der EU finden lassen, ist allerdings fraglich.

Es ging nie um eine Schuldenunion, die in Deutschland gern als Vergemeinschaftung der Bestandsschulden gedeutet wurde, um politisch wirkungsvoll agitieren zu können. Es ging vielmehr stets um die Frage, ob es diesem europäischen Klub unberechenbarer Demokratien gelingen kann, dem Pandemieschock mit einer gemeinsamen Anstrengung entgegenzutreten. Das ist gelungen. Manche sagen, das sei ein „Erfolg an sich“. Doch kann das als Urteil genügen? Muss es nicht um einen „Erfolg in sich“ gehen?

Möglichkeiten für nachhaltiges Wachstum

Die Regeln für die Mittelvergabe kann man als angemessen und fair bewerten. Die Staaten müssen Aufbau- und Resilienzpläne erstellen, die nach maximal zweimonatiger Prüfung durch die Kommission innerhalb eines weiteren Monats vom EU-Finanzministerrat mit qualifizierter Mehrheit behandelt werden. Die Gelder werden in Tranchen ausgezahlt, vorab ist die zufriedenstellende Umsetzung der Pläne zu prüfen. Erstmals sind auch Rechtsstaatlichkeitskriterien einzuhalten. Kurzum: Wer Hilfe sucht, muss sich der europäischen politischen Arena stellen.

Damit entsteht kein europäischer Bundesstaat. Aber die Bereitschaft, den Fonds mit EU-Anleihen zu finanzieren, eröffnet Möglichkeiten für nachhaltiges Wachstum. Rund 70 Prozent der Transferauszahlungen haben nichts mit Corona zu tun, weil sie nach Kriterien der Jahre 2016 bis 2019 vergeben werden. Damit entsteht ein zweiter EU-Haushalt, nur kreditfinanziert.

Hier liegt die Herausforderung: Für die Zukunft ist zu prüfen, ob EU-Anleihen exklusiv und vom normalen Haushalt getrennt für gemeinschaftliche Investitionsprojekte – Infrastrukturnetze, Forschung und Entwicklung – genutzt werden können. Europa als Investitionsunion ist die eigentliche Vision, die der Aufbaufonds verheißt. Die erforderliche Disziplin auf europäischer Ebene würde durch erkennbaren Mehrwert der Union für alle entgolten.

Zur Kolumne auf handelsblatt.com

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