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(© Foto: iStock)
Michael Hüther im Handelsblatt Gastbeitrag 6. März 2020

Coronakrise: Was aus wirtschaftspolitischer Sicht zu tun ist

Das Virus löst einen Nachfrage- und Angebotsschock in der Wirtschaft aus. IW-Direktor Michael Hüther fordert Hilfsmaßnahmen.

Absage der ITB und der Leipziger Buchmesse, Verschiebung der Hannover-Messe, Kursverluste an den Finanzmärkten wie seit der Finanzkrise nicht mehr erlebt: Die Coronakrise ist erkennbar auch zu einer ökonomischen Herausforderung geworden – und das global.

Wenngleich Panik nie hilft, stellt sich doch die Frage, was bei einer Verschärfung wirtschaftspolitisch getan werden kann – und sollte. Die Ausbreitung des Virus stellt gesamtwirtschaftlich sowohl einen negativen Angebotsschock als auch einen negativen Nachfrageschock dar.

Mittlerweile hat die Epidemie die Weltwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen. Laut aktueller OECD-Prognose wird im besten Fall das globale Wachstum im Jahr 2020 um einen halben Prozentpunkt niedriger ausfallen. Derzeit sieht es eher danach aus, dass die ökonomische Krise länger anhält und breiter streut. In diesem Fall kann sich das Weltwirtschaftswachstum in diesem Jahr auf 1,5 Prozent halbieren.

Wenn man den identifizierten und kombinierten Angebots- und Nachfrageschock betrachtet, dann bieten digitale Infrastruktur und Netzwerke eine Kompensationschance. Denn viele Prozesse können aufrechterhalten werden, wo die Entkopplung des Geschäftsmodells vom Raum wirksam ist.

Erfahrungen haben wir darüber freilich noch nicht. Doch eindeutig helfen die digitale Infrastruktur, die kollaborativen Plattformen und die sozialen Netzwerke, die Produktion aufrechtzuerhalten und schnell Anpassungen vorzunehmen.

Das Denken in Angebots- und Nachfragedimensionen kann die Ansatzpunkte für wirtschaftspolitisches Handeln vorgeben. Derzeit aber scheinen sich beide Schocks zu überlagern, und diese Kombination reduziert den wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum.

Die kategorial erfassten gesamtwirtschaftlichen Effekte werden in erster Linie über die Unternehmensfinanzen ihre Konsequenzen entfalten: Liquiditätsengpässe bei schrumpfendem Umsatz und fortbestehenden Kosten. Dort muss die Wirtschaftspolitik ansetzen.

Sonderabschreibungen funktionieren nur dann, wenn eine entstehende Nachfragelücke auch tatsächlich angebotsseitig aus Inlandsproduktion bestückt werden kann. Das Gleiche gilt für klassische Konjunkturprogramme, welche die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zeitnah beleben sollen.

Maßnahmen wie etwa Konsumgutscheine oder Infrastrukturinvestitionen funktionieren allenfalls dann, wenn ungenutzte Kapazitäten in den entsprechenden Branchen zur Verfügung stehen und diese reibungslos abgerufen werden können.

Was also kann von wirtschaftspolitischer Seite getan werden?

1. Stabilisierung der Unternehmensliquidität

Die Coronakrise führt zu Produktions- und Nachfrageausfällen bei den Unternehmen ganz unterschiedlicher Art. Das sind zum einen hochgradig international agierende Unternehmen wie etwa Fluggesellschaften, zum anderen aber auch regional aktive Firmen wie etwa Messebauer. In bestimmten Branchen zeigen sich Abhängigkeiten, weil Vorleistungen nur noch aus bestimmten Volkswirtschaften verfügbar sind.

Sollte die Epidemie in Deutschland und in Europa greifen, wären Lieferketten noch direkter betroffen. Ein Teil dieser Unternehmen kann ernsthafte und den Fortbestand gefährdende Liquiditätsprobleme bekommen. Wirtschaftspolitisch bedeutet dies, schnell und unbürokratisch die Unternehmensfinanzierung zu sichern.

Das kann über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) im Zusammenspiel mit den Förderbanken der Länder organisiert werden. Die Finanzierung sollte über den Bundeshaushalt abgesichert werden.

2. Stabilisierung der Finanzmarktliquidität

Eine höhere Nachfrage der Unternehmen nach „Emergency Liquidity Assistance“ könnte im Euro-Raum infolge einer Ausbreitung des Virus entstehen. Die EZB kann bereits mit dem bestehenden Targeted Long-Term Refinancing Operations (TLTROs) zur Milderung von Liquiditätsproblemen beitragen und darüber hinaus ein neues TLTRO beschließen.

Damit könnten Banken bei der EZB Geld günstiger leihen, wenn sie an solvente Unternehmen in Corona-bedingten Liquiditätsschwierigkeiten (aber mit ausreichend Collateral) Kredite vergeben. Dadurch würde zudem sichergestellt, dass die Probleme der Realwirtschaft nicht auf die Banken durchschlagen, also aus einer Liquiditätskrise der Unternehmen eine Liquiditätskrise der Banken resultiert.

Allgemeine Zinssenkungen – wie jüngst prophylaktisch seitens der Fed – helfen jetzt allerdings nicht. Ganz abgesehen davon, hat die EZB selbst verschuldet keinen zinspolitischen Spielraum mehr.

3. Durch Steuerstundung Unternehmensliquidität stabilisieren

Eine Möglichkeit der Steuerstundung für eine möglichst breite Masse der Unternehmen würde die großzügigere Gewährung des Investitionsabzugsbetrags bieten. Eingeführt im Zuge der Unternehmensteuerreform 2008, mindert der Investitionsabzugsbetrag den heutigen steuerlichen Gewinn, indem 40 Prozent der voraussichtlichen Anschaffungskosten von in den nächsten drei Jahren geplanten Investitionen angesetzt werden.

Der Betrag ist zurzeit auf 200.000 Euro im Jahr und auf Unternehmen mit einem Betriebsvermögen bis zu 235.000 Euro beschränkt. Eine temporäre deutliche Anhebung beider Grenzen würde einen spürbaren Steuerstundungseffekt bewirken. Die Treffsicherheit der Maßnahme ist freilich eingeschränkt.

So würden auch Unternehmen begünstigt, die keine Liquiditätsprobleme haben, und gleichzeitig profitieren diejenigen Unternehmen nicht, die zurzeit keine Gewinne machen. Letzteres betrifft Start-ups und Unternehmen in einer Restrukturierungsphase, die besonders von Liquiditätsengpässen betroffen sein können.

4. Stabilisierung der Beschäftigung und der Arbeitseinkommen durch Kurzarbeit

Angebotsseitig führt die Coronakrise zur Produktionsbeeinträchtigung mit dem Risiko umfangreicher Entlassungen. Eine unbürokratische und zeitlich anpassungsfähige Nutzung von Kurzarbeit stabilisiert Beschäftigung und Einkommen. Dies reduziert lähmende Unsicherheit in den privaten Haushalten.

Wir wissen wenig über die Dauer der Epidemie, geschweige denn über die Dauer ihrer wirtschaftlichen Folgen. Alles, was die Flexibilität beim Arbeitseinsatz erhöht, hilft, die Krise zu bewältigen.

Das Kurzarbeitergeld (bis zu „KUG Null“ bei hundertprozentigem Arbeitsausfall) kann genutzt werden, da der Arbeitsausfall auf einem unabwendbaren Ereignis beruht. Die gesetzlich vorgesehene Bezugsdauer sollte ausreichend sein (12 beziehungsweise 24 Monate).

Es ist zu prüfen, ob die beim Unternehmen verbleibenden Sozialversicherungsbeiträge (80 Prozent) vom Staat übernommen werden, um die Liquidität der Unternehmen zu schonen.

Mit diesen Maßnahmen sollte es gelingen, Beschäftigung und Unternehmensliquidität in einer temporären Krise zu stabilisieren. Budgetäre Restriktionen gibt es nicht, da die Schuldenbremse für „Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen“, eine Kreditaufnahme erlaubt. Allerdings wird verlangt, dass entsprechende Tilgungsregelungen gleichzeitig festgelegt werden.

Nochmals: Über die Dauer und Heftigkeit der gesundheitlichen und ökonomischen Auswirkungen kann derzeit nur spekuliert werden. Das limitiert aber auch den wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum. Es kommt darauf an, Erwartungen zu stabilisieren, indem man einigermaßen treffsicher die plausiblen ökonomischen Folgen einer Coronakrise adressiert. Das ist im derzeitigen Stadium der Krise die Wirtschaftspolitik.

Zum Gastbeitrag auf handelsblatt.de

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