1. Home
  2. Presse
  3. In den Medien
  4. Grundrente: Warum die Bedürftigkeitsprüfung fair ist
Zeige Bild in Lightbox
(© Foto: iStock)
Michael Hüther in Focus Money Gastbeitrag 11. November 2019

Grundrente: Warum die Bedürftigkeitsprüfung fair ist

Ein Streitpunkt der Großen Koalition bei der Grundrente ist die Bedürftigkeitsprüfung. Sie ist jedoch dringend notwendig, weil die Rentenhöhe allein nichts über die Hilfsbedürftigkeit der Rentner aussieht, schreibt IW-Direktor Michael Hüther in einem Gastbeitrag für Focus Money.

Die Koalition verkämpft sich an der Grundrente. Die Ursache ist – jenseits der Deutung des Koalitionsvertrages – schnell identifiziert. Die diskutierten Modelle vermengen zwei Sicherungsmotive, die der Sache nach in verschiedenen Teilsystemen der Sicherungsarchitektur zu verfolgen sind: die materielle Armutsprävention und die Anerkennung von Lebensleistung.

Die Grundsicherung sorgt für eine materielle Mindestausstattung bei Bedürftigkeit, das gilt in der Erwerbsphase wie in der Rentenphase. So bildet sie auch das Fundament, auf dem die drei Säulen der Alterssicherung aus gesetzlicher, betrieblicher sowie privater Alterssicherung stehen und die Lebensleistung zum Ausdruck bringen. Erst wenn Versorgungsansprüche aus diesen drei Säulen nicht ausreichen, um ein als menschenwürdig erachtetes Einkommensniveau zu gewährleisten, soll die steuerfinanzierte Hilfe greifen.

Die Grundsicherung wird bedarfsabhängig gewährt und setzt deshalb eine Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse im Haushalt voraus. Diese ist notwendig, um den individuellen Bedarf überhaupt erst feststellen zu können. Denn die Höhe einer gesetzlichen Rente sagt allein wenig darüber aus, wie es um die materielle Versorgung im Haushalt bestellt ist. In vielen Fällen sind die Bezieher einer niedrigen Rente über die Altersversorgung des Ehepartners abgesichert, verfügen über ergänzende Alterseinkommen und nicht selten sichert ein mehr oder weniger bescheidenes Vermögen den Lebensabend zusätzlich ab.

Damit Rentenaufstockungen nicht an Personen fließen, die gar keiner finanziellen Unterstützung bedürfen, ist die Bedürftigkeitsprüfung unverzichtbar. Anderenfalls droht die Gemeinschaft der Beitrags- und Steuerzahler überfordert zu werden. Würde man auf eine Bedürftigkeitsprüfung gänzlich verzichten und die Renten nur nach Maßgabe der individuellen Anwartschaften aufstocken, drohten in vier von fünf Fällen Hilfen fehladressiert zu werden. Das ist weder fair noch gerecht, und zwar für Steuerzahler und Leistungsempfänger.

Die Grundrentenmodelle sehen eine Mindestbeitragszeit von 35 Jahren vor. Das schränkt den Kreis der begünstigten Personen deutlich ein. Das provoziert indes neue Fragen. Eine Mindestbeitragszeit führt nicht nur unter den gesetzlich Versicherten zu Ungleichbehandlungen, weil bereits ein fehlendes Beitragsjahr von einer Rentenaufstockung ausschließt oder Teil- und Vollzeiterwerbsbiografien gleich behandelt werden. Unberücksichtigt bleiben auch Zeiten nicht versicherungspflichtiger, zum Beispiel selbständiger Erwerbstätigkeit. Nicht zuletzt resultiert auch die betriebliche und private Altersrente aus Lebensleistung, haben die Sparer doch über lange Jahre Konsumverzicht geübt, in der Hoffnung, damit ihr Alterseinkommen aufzustocken.

Die Riester-Rente als Vorbild

Wenn im Alter Bedürftigkeit eintritt, dann gibt es einen eleganteren Weg, um dennoch die Lebensleistung der Betroffenen anzuerkennen. Im Fall der Riester-Rente existiert nämlich bereits ein Lösungsweg: ein Freibetrag bei der Bedürftigkeitsprüfung. Um der Unterschiedlichkeit der Lebensleistungen Rechnung zu tragen, könnte man einen solchen Freibetrag unabhängig von der Art des Alterseinkommens gewähren – also gleichermaßen für Riester-, Betriebs- oder gesetzliche Renten. Die Rente würde quasi als Äquivalent zum Erwerbseinkommen analog in der Grundsicherung behandelt.

Da jedoch die meisten Ruheständler über ein solchermaßen anrechnungsfrei zu stellendes Alterseinkommen verfügen, zum Beispiel eine Mütterrente, droht die Anzahl der Anspruchsberechtigten zu steigen. Deshalb sollte der Freibetrag auf bis zu 100 Euro pro Monat begrenzt werden. Denn kostenlos ist auch eine solche Lösung nicht, allerdings werden so die konzeptionellen Widersprüche der Grundrentenmodelle überwunden. Der Zielkonflikt zwischen Würdigung der Lebensleistung und der Grundsicherung bei Bedürftigkeit würde systemgerecht überwunden. Freilich kann so nur nach dem Ende des Erwerbslebens korrigiert werden, was eigentlich in dessen Verlauf durch angemessene Aufstiegschancen aufgrund guter Ausbildung und passender Weiterbildung vermieden werden sollte.

Zum Gastbeitrag auf focus.de

Mehr zum Thema

Artikel lesen
Wer länger arbeitet, ist zufriedener
Jennifer Potthoff / Ruth Maria Schüler Pressemitteilung 11. April 2024

Lange Arbeiten: Wer im Alter arbeitet, ist zufriedener

Die Lebenszufriedenheit der Deutschen ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Das zeigt eine neue Auswertung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Besonders zufrieden: die sogenannten „Silver Worker“, also 66- bis 70-Jährige, die über das ...

IW

Artikel lesen
Martin Beznoska / Judith Niehues / Ruth Maria Schüler / Maximilian Stockhausen Pressemitteilung 3. April 2024

Inflation: Rentner nicht stärker betroffen als andere Haushalte

Die Kaufkraft von Rentnern der Gesetzlichen Rentenversicherung sank in den vergangenen Jahren nicht stärker als bei anderen Haushalten. Während die Coronapandemie Rentner nicht so stark getroffen hat, führten die Preissteigerungen spätestens seit 2022 zu ...

IW

Mehr zum Thema

Inhaltselement mit der ID 8880