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(© Foto: Michele Tantussi/GettyImages)
Michael Hüther im Handelsblatt Gastbeitrag 27. Dezember 2017

Union und SPD: Selbstfindung als Programm

Alles läuft wieder auf eine Große Koalition der Mutlosigkeit hinaus, schreibt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt.

Bei den Versuchen, eine Regierung zu bilden, bewegen sich die Parteien zwischen Selbstfindung und Gruppentherapie. Dieser Zwischenbefund ist eher verstörend als eine Lektion in lebendiger Demokratie - so wichtig der Streit über Ziele und den richtigen Weg ist, so berechtigt die ernsthafte Suche nach einer konsistenten Agenda Zeit beansprucht. Weiterführende Beiträge sucht man vergebens.

Die Sozialdemokraten gerieren sich gegenüber Merkel und der Union als der wahre Nabel der Welt (und natürlich der deutschen Politik), mit einer Mischung aus verteilungspolitischer Mottenkiste und europapolitischer Illusion. Die Programmatik der Union verblasst bei allem Tamtam vollends. Schon in den Jamaika-Gesprächen gab es kaum ein Halten: keine ordnungspolitische Orientierung, kein steuerpolitischer Mut, kein digitalpolitischer Aufbruch, kein demografiepolitischer Ernst.

Nachdem ein bürgerliches Bündnis vorerst nicht zustande gekommen ist, läuft es wieder auf eine Koalition schlechter Laune und fehlender Inspiration hinaus.  Wohlfeil sind dabei die Forderungen nach einer großen Erzählung, dem Narrativ des Regierens im 21. Jahrhundert. Denn in der Postmoderne - so Jean-Francois Lyotard bereits 1979 - erodieren ideologisch begründete Erzählungen, die im Zeichen des Wohlfahrtsstaates und des Keynesianismus ein umfassendes Versprechen auf individuelle Sorglosigkeit und menschliche Besserung geben.

Doch hier offenbart sich das existenzielle Problem der Sozialdemokratie: in dem naiven Glauben, der Ausbau des Wohlfahrtsstaats führe zur Vervollkommnung des Menschen. Denn auch mit einer Sozialleistungsquote von über 30 Prozent und flächendeckendem Mindestlohn wird das nichts. Die lebenspraktischen Sorgen jener Schicht, die sich aus Gründen ihrer Bildungs- und Erwerbsbiografie durch Zuwanderung und Globalisierung überfordert sieht, werden nicht adressiert.  Darauf antwortet die SPD mit Umverteilung und Bürgerversicherung. Doch statt in große Projekte müsste zielgenau dort investiert werden, wo Langzeitarbeitslosigkeit sich mit einem schwierigen sozialen Umfeld mischt.

Die Verbesserung der insgesamt schwächer gewordenen Aufstiegsmobilität setzt voraus, dass besonders im "Dienstleistungsproletariat" (Heinz Bude) Aufstieg zu einer realistischen Perspektive wird. Das ist politisch mühsam, weil es nicht selten früh im Leben aktiver staatlicher Angebote bedarf, die Arbeitgeber fordern und die Zivilgesellschaft verlangt. Eine Politik, die diese Aufgabe sozialer Kohäsion vergisst, kann bei den Themen nicht handlungsfähig sein, die aus den Megatrends resultieren und gerade auf die Offenheit unserer Gesellschaft und Volkswirtschaft setzen.

Es geht darum, den biografischen Wandel mit der digitalen Transformation gemeinsam zu sehen. In einem Land so starker Alterung - bei regionaler Differenzierung - wird es darauf ankommen, durch schnellen und umfassenden Infrastrukturausbau jenen eine Perspektive der Anbindung zu geben, die fernab der großen Zentren leben. Das schnelle Internet ist als Infrastruktur ein öffentliches Gut, dessen Ausbau dem Markt zu überlassen, wie der Sachverständigenrat vorschlägt, nicht funktionieren kann. Eine alternde Gesellschaft ist wenig innovationsfreudig. Die digitale Transformation muss daher in Bildungsinstitutionen vorangetrieben und durch eine Investitionsstrategie getragen werden, die auf steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung sowie wettbewerbsfähige Steuersätze setzt. Ebenso muss der Strukturwandel von der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik begleitet werden. Das erfordert Flexibilisierung der Arbeitszeitregelungen sowie eine sozialpolitische Anerkennung schwankender Tätigkeits- und Einkommensprofile im Lebensverlauf durch eine Kombination kollektiver Grundsicherungssysteme und individueller Versicherungslösungen.

Deutschland lebt als weltoffene Ökonomie in erheblichem Maße von der internationalen Arbeitsteilung. Dem sollte durch eine prononcierte Freihandelsstrategie auf allen Ebenen (Wiederbelebung der Doha-Runde, Forcierung der EU-Freihandelsabkommen mit Japan und Südamerika) Rechnung getragen werden.  Die Globalisierung verlangt uns aber auch ein systematisches und transparentes Einwanderungsgesetz ab, das der schwieriger werdenden Demografie Rechnung trägt sowie die internen Bemühungen um höhere Erwerbsintegration und längere Lebensarbeitszeit (Ende der Rente mit 63) unterstützt. Sollte die Selbstfindung dieser Monate solche Erkenntnis befördern, kann sich die politische Partnersuche noch als lohnend erweisen.

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