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(© Foto: iStock)
Michael Hüther auf salonkolumnisten Gastbeitrag 12. September 2019

Schuldenbremse: „Schwarze Null“ und die Angst vor Politik

IW-Direktor Michael Hüther kämpft gegen die „Schwarze Null“. In diesem Gastbeitrag erklärt er, warum der jährliche Haushaltausgleich auf den ersten Blick rational anmutet, aber gegen die volkswirtschaftliche Logik verstößt.

In der deutschen Politik wird wieder über die Schuldenbremse diskutiert, und zwar passend zum zehnten Geburtstag. Das überrascht viele. Denn einerseits hat sich die Zuspitzung in der politischen Kommunikation in Form der „schwarzen Null“ verselbständigt und als Manifest der „schwäbischen Hausfrau“ nahezu selbst Verfassungsrang erworben. Andererseits entwickeln sich die Steuer- und Beitragseinnahmen des Staates seit Jahren dynamisch, so dass die Idee staatlicher Kreditaufnahme vielen absurd erscheint. Warum also dennoch über die Schuldenbremse nachdenken? Nun, wenn sich die Sachlage ändert, rückt rational eigentlich ganz selbstverständlich die Frage aufs Tapet, was daraus für frühere Entscheidungen resultiert. Die Schuldenbremse war vor zehn Jahren Ausdruck mehrerer Entwicklungen.

Zunächst hatte die Finanz- und Wirtschaftskrise die Schuldenstandquote in kurzer Zeit in Deutschland von gut 60 Prozent auf über 80 Prozent ansteigen lassen. Vorangegangen war die Erfahrung des Jahres 2003, als die Bundesrepublik nicht in der Lage war, die Maastricht-Kriterien einzuhalten und die Bundesregierung in Brüssel erfolgreich alles tat, um eine Rüge zu verhindern. Deutschland war nicht mehr der anerkannte finanzpolitische Musterknabe, der es gerne in der Eurozone sein wollte. Dagegen stand positiv die Erfahrung der Schweiz, die seit dem Jahr 2001 eine Bindung der Ausgaben an konjunkturbereinigte Einnahmen zur verfassungsrechtlich etablierten Regel gemacht hatte.

Historisch begründete Angst

In Deutschland verbindet sich der Blick auf die Staatsverschuldung historisch begründet mit der sorgenvollen Prägung durch zwei Hyperinflationen im 20. Jahrhundert. Die mit dem ersten und zweiten Weltkrieg verbundene massive Staatsverschuldung hatte durch die Überforderung der volkswirtschaftlichen Kapazitäten diese inflationären Schübe verursacht. Die Unabhängigkeit der Notenbank, verankert mit dem Bundesbankgesetz 1957, war die politisch alle überzeugende Konsequenz. Mit der Europäischen Währungsunion ergab sich zudem die Herausforderung, die weiterhin national souveräne Finanzpolitik zu disziplinieren. Die Maastricht-Kriterien und der Stabilitäts- und Wachstumspakt waren konsequent deutsche Ideen für die institutionelle Ausgestaltung der Eurozone.

Vor dieser Kulisse wurde im Zuge der Föderalismus-Reform II die politische Chance genutzt und die Schuldenbremse ins Grundgesetz geschrieben. Bereits damals wurde dies kritisch diskutiert. Denn, was in der Verfassung steht, das ist der Politik entzogen. Das Budgetrecht, das als zentraler Ausdruck der demokratisch legitimierten Willensbildung über das staatliche Handlungsprogramm befindet, und der Streit darüber können nicht an Verfassungsregeln delegiert werden.

Dennoch gilt auch hier, alles hat seine Zeit. Die Schuldenbremse mag geholfen haben, den Staatshaushalt zum Ausgleich zu bringen. Maßgeblich war – neben den sinkenden Zinsen – allerdings der Erfolg am Arbeitsmarkt seit dem Jahr 2005: Der anhaltende Anstieg der Erwerbstätigkeit – heute mit 80 Prozent Erwerbsquote auf historischem Höchststand – hat die Steuer- und Beitragseinnahmen des Staates nachhaltig ansteigen lassen. Kommunikativ war dies alles indes kunstvoll durch das Bild der „schwarzen Null“ verpackt worden. Damit freilich ist eine viel engere Regel verbunden, als es die Schuldenbremse intendiert. Der jährlich verpflichtende Ausgleich der Haushalte ist nicht Idee und Inhalt der Schuldenbremse, die sowohl eine konjunkturelle Verschuldung für Bund und Länder  – eng definiert und zeitlich gebunden – als auch eine geringe strukturellen Verschuldung des Bundes – 0,35 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts – vorsieht.

Ikone der Rechtgläubigen

Doch die kommunikativ geformte Idee der „schwarzen Null“ ist in Politik und Medien zum Selbstläufer – zur Ikone der Rechtgläubigen – geworden, so dass schon die Nutzung der in der Schuldenbremse vorgesehenen Spielräume der Rechtfertigung bedarf. Das ökonomische Irrlicht des jährlichen Haushaltsausgleichs ohne Neuverschuldung spiegelt sich in der ebenso eigenartigen Negierung von Steuerentlastungen für Haushalte und Unternehmen. Wenn man in einem Entscheidungssystem eine Variable fixiert – wie durch die Schuldenbremse, dann verändert dies natürlich die Handlungsstrategien. Anders gewendet: Die Einschränkung der öffentlichen Kreditaufnahme mag zwar dem Gedanken folgen, eine langfristig rationale Finanzpolitik zu betreiben. Doch unterstellt dies, dass alle Anpassungsversuche an die neue Regel für sich genommen auch diesem Ziel folgen und rational sind. Die Erfahrung zeigt, dass das Gegenteil richtig ist.

Warum aber jetzt die „schwarze Null“ aufgeben und die Schuldenbremse flexibler gestalten? Zuerst und vor allem gilt: Die Bundesrepublik hat wieder Spielraum, weil die Maastricht-Kriterien nahezu erreicht sind (60 Prozent Schuldenstandquote, drei Prozent Defizitquote). Damit sind wir in der Eurozone regelkonform und glaubwürdig. Sodann und ebenso wichtig: Der Realzins, der sich bereits seit zwei Dekaden im Sinkflug befindet, liegt seit 2009 unter der realen Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts. Eine Kreditaufnahme führt dann nicht zu einer Belastung künftiger Generationen, zumal gilt, dass – so belegen viele empirische Studien – die Produktivität öffentlicher Investitionen überdurchschnittlich hoch ist. Und eine Verdrängung privater Investitionen ist angesichts des infolge der demografischen Alterung hohen Sparvolumens nicht zu beobachten. Im Gegenteil: Der Kapitalbedarf der Unternehmen hat sich durch die digitale Transformation verringert.

Sondervermögen für Wachstum

Was folgt aus alledem? Die Finanzpolitik sollte zu einer nüchternen, nicht emotionalen Betrachtung ihrer Ausgabenbedarfe und der dazu passenden Finanzierungswege finden. Denkblockaden hier – bei der Frage der Kreditfinanzierung – und dort – bei der Steuerfinanzierung – verhindern eine sachgemäße Politik. Diese kann unter den gegebenen Umständen darin bestehen, einen auf zehn Jahre angelegten föderalen Investitionsfonds (Sondervermögen) aufzulegen, der mit einem Volumen von 450 Milliarden Euro sowohl die aufgestauten Bedarfe (kommunale Infrastruktur, Verkehr, Energie) als auch die neu fixierten Herausforderungen (Digitalisierung, Klimawandel) adressieren kann. Mit der zehnjährigen Ausrichtung verbindet sich die Chance, dass die Bauwirtschaft anders als bei der Kurzatmigkeit jährlicher Budgets ihrerseits die Kapazitäten ausweitet.

Ist das ohne Risiken zu haben? Freilich nicht. Polit-ökonomisch besteht das Risiko, dass die Finanzpolitiker versuchen, konsumtive Aufgaben über diesen Fonds zu finanzieren. Dem kann entgegenwirken, wenn analog dem Stabilitätsrat ein Investitionsrat die prinzipielle Eignung für den Fonds testiert und damit dem Parlament für die Öffentlichkeit transparent eine Orientierung an die Hand gibt. Solide Finanzpolitik würde so neu definiert: Den künftigen Generationen wird ein moderner staatlicher Kapitalstock zu verantwortbaren Finanzierungskonditionen übereignet. Kritisch wird eingewandt, dass Schulden immer Schulden bleiben und zurückgezahlt werden müssten. Hier wird das Haushaltsbuch der schwäbischen Hausfrau an die Stelle volkswirtschaftlicher Logik gesetzt, die nach der Tragfähigkeit der Staatsschulden fragt. Diese findet sich in den Marktkonditionen für den deutschen Staat testiert. Bei einer Neuverschuldung von 45 Milliarden Euro jährlich würden die Maastricht-Kriterien jederzeit mindestens gewahrt.

Mangelnde Risikobereitschaft

Wo also ist das Problem? Liegt es in der historisch begründeten Phobie der Deutschen gegenüber dem Staatskredit begründet, diesem extremen Wunsch nach Sicherheit? Der Eindruck drängt sich auf. Denn dieses extreme Sicherheitsdenken, dass Stabilität statt Wandel präferiert, zeigt sich vielfach im wirtschaftlichen Kontext. Die Deutschen legen deshalb ihr Geldvermögen im Inland wie im Ausland weniger ertragreich an als es möglich wäre und andere tun. Die zwanghafte Suche nach jederzeitigem Kapitalerhalt schließt die Bereitschaft zum Risiko aus. Das gilt ebenso für die Bereitschaft, neue unternehmerische Ideen über Risikokapital kräftig gerade am Anfang zu finanzieren. Wir wundern uns, dass die Gründungen neuer Unternehmen deshalb in den USA, im UK und in Israel stattfinden oder sie dorthin auswandern. Wer nicht bereit ist, auf Wachstum, statt auf schellen Profit zu setzen, der muss sich nicht wundern, wenn die Sparbüchse kaum einen realen Werterhalt sichert. All dies reflektiert sich auch in der hartnäckigen Phobie gegenüber der Kreditfinanzierung staatlicher Investitionen.

Wir sparen lieber, als auf Wachstum zu setzen.

Zum Gastbeitrag auf salonkolumnisten.com

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