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(© Foto: GettyImages)
Michael Hüther / Markus Demary in der Börsen-Zeitung Gastbeitrag 8. Mai 2020

Unabhängigkeit der Geldpolitik in Gefahr

Mit der Entscheidung vom 5. Mai 2020 hat das Bundesverfassungsgericht nicht nur, wie die Reaktion des polnischen Justizministeriums zeigt, europäische Rechtsgeschichte ge­schrieben, sondern die Geldpolitik in der Eurozone auf unsicheres Terrain gebracht, so IW-Direktor Michael Hüther und IW-Ökonom Markus Demary in einem Kommentar bei der Börsen-Zeitung.

Zwar adressiert das Urteil das Public Sector Purchase Programme (PSPP) aus dem Jahr 2015, doch damit ergeben sich neue Leitplanken für die europäische Geldpolitik. Die EZB muss dem Bundesverfassungsgericht binnen drei Monaten die Verhältnismäßigkeit des PSPP darlegen. Sollte dies die Karlsruher Richter nicht überzeugen, dürfte die Bundesbank an weiteren geldpolitischen Operationen des Eurosystems nicht teilnehmen. Das stellt Unabhängigkeit und Einheitlichkeit der europäischen Geldpolitik in Frage.

Was heißt verhältnismäßig?

Das Gericht nennt für die Überprüfung der Proportionalität Faktoren wie ökonomische und soziale Auswirkungen auf Aktionäre, Mieter, Eigentümer von Immobilien, Sparer und Versicherungsnehmer. Doch lassen sich diese Wirkungen weder eindeutig beschreiben noch zuordnen. Das gilt ebenso für die Frage, inwieweit niedrigere Zinsen es sogenannten Zombie-Unternehmen ermöglichen, trotz fehlender Zukunftsaussichten zu überleben. Das Gericht weist die Verantwortung für die Zinsentwicklung allein der Geldpolitik zu. Dass auf international integrierten Kapitalmärkten die demografische Alterung und veränderte Finanzierungsbedarfe in der digitalen Transformation tendenziell zu einem Kapitalüberhang und niedrigen Realzinsen führen, wird ausgeblendet.

Ganz besonders schwerwiegend ist aber die Einschätzung des Gerichts, dass das Ziel der Preisniveaustabilität – in der Deutung der EZB – nicht schon aufgrund einer geldpolitischen Würdigung entsprechende Maßnahmen wie das PSSP zu rechtfertigen vermag, sondern erst unter Berücksichtigung der sonstigen ökonomischen und sozialen Folgen. Damit wird der Kern der Autonomie und Unabhängigkeit der EZB in Frage gestellt: Eine Rechtfertigung geldpolitischer Maßnahmen alleinig mit dem übergeordneten Ziel der Preisniveaustabilität wird in Deutschland nicht mehr ausreichen. Die Geldpolitik wird damit von der Meinungsbildung in Bundesregierung und Bundestag über das Kriterium der Verhältnismäßigkeit ihres Tuns abhängig.

Natürlich kann eine Abwägung zwischen den Vorteilen und den Nachteilen der Geldpolitik diese für die Bürgerinnen und Bürger durchaus transparenter machen. Doch bereits jetzt können viele Informationen zu den Wirkungen der Geldpolitik in Form von Analysen, Redemanuskripten und Pressemitteilungen auf der Homepage der EZB abgerufen werden. Diese richten sich zwar eher an Experten. Beim Normalbürger bleibt eigentlich nur hängen, dass die EZB überschuldeten Staaten hilft und der Zins auf die eigenen Ersparnisse deshalb niedrig ist. Hier hätte die EZB sicherlich besser kommunizieren können. Das aber rechtfertigt die Vorgaben des Verfassungsgerichts nicht.

Auch muss man sich fragen, ob die Proportionalität in der Vergangenheit immer das entscheidende Kriterium für die Bewertung der Geldpolitik war. Recherchiert man in Pressearchiven zur Zufriedenheit der Bürger mit der Geldpolitik der Bundesbank, so bestand in den 1970er und 1980er Jahren große Sorge vor Zinserhöhungen. Denn diese verteuerten den Immobilienkredit und die Unternehmensfinanzierung und man befürchtete Insolvenzen und Arbeitslosigkeit. Die Geldpolitik hatte schon immer Nebenwirkungen. Trotzdem hat man sich darauf geeinigt, dass sich die EZB auf die Sicherung der Preisniveaustabilität fokussieren soll. Die allgemeine Wirtschaftspolitik darf sie unterstützen, wenn dies nicht im Widerspruch zu ihrem Inflationsziel stehen würde. Damit die EZB dies kann, wurde ihr die Unabhängigkeit von politischem Einfluss garantiert.

Die gefährdete Unabhängigkeit der Bundesbank hat weitreichende Wirkungen. Denn es kann ihr untersagt werden, an geldpolitischen Operationen des Eurosystems teilzunehmen. Inmitten einer schweren Wirtschaftskrise könnte dies auch mit wirtschaftlichen Nachteilen für Deutschland verbunden sein. Grundsätzlich gefährdet ist damit eine einheitliche Umsetzung – und damit die generelle Wirksamkeit – geldpolitischer Beschlüsse in der gesamten Eurozone. Denn die Frage der Proportionalität der Geldpolitik stellt sich auch für andere Länder. Will das Verfassungsgericht das Ende der europäischen Geldpolitik mit ge­meinsamer Währung einläuten?

Das Bundesverfassungsgericht ar­gumentiert aus einer sehr beschränkten deutschen Sicht. Möglicherweise ist die Geldpolitik der EZB für manch anderes Land des Euroraums zu restriktiv und damit mit Nachteilen für die Bürgerinnen und Bürger dort verbunden. Wenn jedes Land für sich Verhältnismäßigkeit fordert, dann kann eine gemeinsame Geldpolitik nicht mehr stattfinden. Zudem stellt sich die Frage, wie die anderen Euro-Länder reagieren werden, wenn die Bundesbank nicht an Maßnahmen des Eurosystems teilnehmen darf. Wohin soll das führen?

Nun Fiskalpolitik in der Pflicht


Da über die Handlungsmöglichkeiten der EZB in der Coronakrise nun rechtliche Unsicherheit herrscht, kann die Politik nicht mehr darauf vertrauen, dass die EZB das Krisenmanagement übernimmt. Nun ist die Fiskalpolitik in der Pflicht. Aber auch deren Maßnahmen haben ökonomische und soziale Auswirkungen auf Aktionäre, Mieter, Eigentümer von Immobilien, Sparer und Versicherungsnehmer; im Unterschied zur Geldpolitik aber in einer viel weniger transparenten Weise. Interessanterweise sind die Fundamentalkritiker der EZB auch die größten Opponenten gegen eine stärkere fiskalpolitische Verantwortung auf europäischer Ebene. Honi soit qui mal y pense.
 

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