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(© Foto: Getty Images)
Michael Hüther / Markus Demary in der Börsen-Zeitung Gastbeitrag 15. Juni 2018

Risikovorsorge ist wichtiger als Risikoteilung

Eine gemeinsame Einlagensicherung in Europa wird auch künftige Bankenkrisen nicht verhindern. Dies kann nur durch Risikovorsorge erreicht werden, schreiben IW-Direktor Michael Hüther und IW-Ökonom Markus Demary in einem Gastbeitrag in der Börsen-Zeitung.

Als dritte Säule neben dem gemeinsamen Aufsichtsmechanismus und dem gemeinsamen Bankenabwicklungsmechanismus war bereits zu Beginn der Bankenunion eine harmonisierte Einlagensicherung vorgesehen. Einigen konnten sich die Mitgliedstaaten damals allerdings nur auf gemeinsame Mindeststandards für die nationalen Einlagensicherungsfonds mittels der Europäischen Einlagensicherungsrichtlinie 2014 (in Nachfolge des Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetzes 1998). Die Europäische Kommission drängt nun zur Vollendung der Bankenunion: Konkret bedeutet dies die Einrichtung der gemeinsamen Einlagensicherung.

Bei dem Thema Einlagensicherung treffen zwei Sichtweisen aufeinander, die Konsequenzen für das Timing der Einführung haben: der Risikoabbau und die Vergemeinschaftung von Risiken. Deutschland ist der Risikoabbau wichtiger, den meisten übrigen Mitgliedstaaten die Risikoteilung. Grund für Deutschlands ablehnende Haltung sind die Altlasten - vor allem in Südeuropa - aus der letzten Krise in den Bankbilanzen, deren Abbau zwar Fortschritte zeigt, welche aber bei zügiger Umsetzung der gemeinsamen Einlagensicherung noch hoch sein werden. Es ist zu befürchten, dass Banken mit Altlasten in die europäische Einlagensicherung eintreten werden und Verluste über die gemeinsame Einlagensicherung vergemeinschaftet werden.

Die Deutschen stehen der gemeinsamen europäischen Einlagensicherung aber auch deshalb skeptisch gegenüber, da Deutschland nie eine einzige Einlagensicherung für alle deutschen Banken kannte. Stattdessen verwalten Genossenschaftsbanken, Sparkassen und Privatbanken ihre eigenen Einlagensicherungssysteme. Zwischen den Sicherungssystemen besteht keine Möglichkeit von Transfers. Bisher war dieses geteilte System in Deutschland sehr erfolgreich. Sorge besteht, dass ein funktionierendes System durch eine umfassende europäische Einlagensicherung obsolet wird. Denn die Institutssicherungssysteme der Genossenschaftsbanken und der Sparkassen sind Teil ihres Geschäftsmodells.

Dem gegenüber steht der berechtigte Hinweis, dass eine weitgehende Abschirmung der Steuerzahler gegenüber Solvenzrisiken der Banken in der Eurozone ein umfängliches Einlagensicherungssystem erfordert. Dies muss freilich die nationalen Institutionen weder ablösen noch überrollen, wenn es als eine Rückversicherung organisiert würde, welche erst greift, wenn nationale Systeme erschöpft sind. Es verlängert aber die Sicherungskaskade von der Eigenkapitalunterlegung bis zur Abwicklung.

Eine gemeinsame europäische Einlagensicherung wäre eine Versicherung mit Zwangsmitgliedschaft. Das ist mit Blick auf adverse Selektion, die Flucht guter Risiken, notwendig. Allerdings besteht dann das Problem, dass Banken mit großem Insolvenzrisiko aufgrund von Altlasten aus der letzten Krise nicht einfach ausgeschlossen werden könnten. Eine private Versicherung würde den hohen Risiken die Mitgliedschaft verweigern oder prohibitive Prämien verlangen. Durch die Zwangsmitgliedschaft aller Banken würde eine gemeinsame Einlagensicherung bei nichtdiskriminierender Prämienfestsetzung zu einem Transfermechanismus mutieren.

Altlastenproblematik

Die Altlastenproblematik wird dadurch verstärkt, dass in Bezug auf die Schieflage der europäischen Banken keine granularen Risiken bestehen. Dies liegt an den unterschiedlichen Größen der Banken. Neben den vielen kleinen und regional tätigen Banken hat jedes Land auch seine großen, systemrelevanten Banken. Während die Insolvenzen einiger kleinerer Banken zu keinen nennenswerten Umverteilungen innerhalb des Einlagensicherungsfonds führen würden, kann doch die Schieflage einer Großbank zu großen Umverteilungen führen. Eine IW-Studie hat kürzlich herausgefunden, dass drei Viertel der notleidenden Kredite im Euroraum in den Bilanzen von 1,6 % aller Banken, das heißt in Großbanken, stecken.

Auch trägt zur Unwucht bei, dass die Mitgliedsländer unterschiedlich von konjunkturellen Krisen betroffen sind. Während Deutschland im Jahr 2009 von einer schweren Rezession, aber auch einer danach schnellen wirtschaftlichen Erholung betroffen war, ist Italien in eine sehr lang anhaltende Wachstumsschwäche geraten und durch strukturelle Probleme geprägt. Diese haben den Abbau der notleidenden Kredite in den italienischen Banken erheblich verzögert.

Zudem existiert kein europäisches Insolvenzrecht, sondern viele nationale Insolvenzregime, was zu einem unterschiedlich schnellen beziehungsweise langsamen Abbau von notleidenden Krediten beiträgt. Fällt in Deutschland oder Finnland ein Kredit aus, so kann ein Großteil der Kreditsumme in einer vertretbaren Zeit zu vertretbaren Kosten im Rahmen eines Insolvenzverfahrens und durch Verwertung der Kreditsicherheit wieder eingetrieben werden. Hingegen ist ein solches Verfahren in Italien deutlich teurer, zeitintensiver und es kann nur ein geringerer Teil der Kreditsumme wieder eingetrieben werden.

Eine Auswertung des Instituts der deutschen Wirtschaft von 76 großen und systemrelevanten Banken aus dem Euroraum zeigt, dass zwar bei mehr als der Hälfte dieser Banken weniger als 5 % ihrer Kredite notleidend waren. Doch sind bei 13 % dieser Banken mehr als 20 % ihrer Kredite ausfallgefährdet. In diesen Banken befinden sich 23 % des Volumens an notleidenden Krediten. Dieses Volumen werden die betroffenen Banken nicht aus eigener Anstrengung abbauen können.

Zudem deuten die Zahlen darauf hin, dass sich Banken mit einem hohen Anteil an Problemkrediten nicht aus eigener Kraft sanieren können. Zwar zeigte sich, dass ein Großteil der Banken mit einem geringen Anteil an notleidenden Krediten im Jahr 2012 die Kreditqualität bis zum Jahr 2017 halten und auch verbessern konnte. Doch konnte keine Bank mit einem Anteil von 25 % oder mehr an Problemkrediten im Jahr 2012 ihre Kreditqualität bis zum Jahr 2017 verbessern. Zudem hat sich die Kreditqualität bei allen Banken mit einem Anteil an Problemkrediten zwischen 20 und 25 % im Jahr 2012 bis 2017 verschlechtert. Würden diese Banken an der gemeinsamen Einlagensicherung teilnehmen, so würden sie von den Beiträgen der gesunden Banken saniert werden müssen.

Die Bewältigung der Altlasten ist nur ein Faktor, der derzeit gegen eine umfassende gemeinsame europäische Einlagensicherung spricht. Dagegen spricht auch, dass noch Instrumente für eine Verhinderung eines erneuten Anstiegs an Problemkrediten etabliert werden müssen. Denn für einen erneuten Anstieg der Problemkredite müsste nur eine Immobilienblase entstehen und platzen oder eine Rezession sehr lange anhalten. Ohne Eingriffsmöglichkeiten der gemeinsamen Bankenaufsicht könnte eine ausreichende Risikovorsorge bei den betroffenen Banken schwer garantiert werden. Zudem muss geklärt werden, wie die Aufsicht damit umgehen sollte, wenn einzelne Banken ihre ausfallgefährdeten Kredite nicht mit ausreichenden Risikorückstellungen gedeckt haben.

Als schwierig gestaltet sich auch die risikoadäquate Bemessung der Beiträge einzelner Banken zur gemeinsamen Einlagensicherung. Eine Bemessung allein anhand des Einlagevolumens spiegelt nicht das Insolvenzrisiko der Banken wider, da sich die einlagenstarken Banken deutlich stabiler refinanzieren als Banken, die sich kurzfristig über den Kapitalmarkt verschulden.

Zudem sind die einlagenstarken Institute häufig nur regional tätig und deshalb weniger den Risiken des globalen Kapitalmarkts oder dem Risiko einer Staatsschuldenkrise ausgesetzt. Durch die fehlende Eigenkapitalunterlegung des Risikos aus Staatsanleihen ist die Solvenz vieler Banken sehr stark von der finanziellen Lage der Staaten abhängig. Die Schieflage von Banken durch eine Staatsschuldenkrise hat deshalb direkte Folgen für die gemeinsame Einlagensicherung.

Da auch in der Bankenunion nationale Faktoren zur Schieflage von Banken beitragen, müsste der Beitrag der Banken in den gemeinsamen Einlagensicherungsfonds eine länderspezifische Komponente haben. Jedoch werden die betroffenen Länder dadurch Wettbewerbsnachteile für ihre Bankensysteme befürchten. Deshalb wird eine solche risikoadäquate Beitragsgestaltung zur Einlagensicherung politisch nur schwer bis gar nicht umsetzbar sein.

Eine gemeinsame Einlagensicherung wird zukünftige Bankenkrisen nicht verhindern. Dies kann nur durch Risikovorsorge erreicht werden. Deshalb sollte das Monitoring der Problemkredite in den Bankbilanzen stärker in der makroprudenziellen Aufsicht verankert werden. Zudem müssen die Risiken aus Staatsanleihen in der Eigenkapitalregulierung der Banken regulatorisch adressiert werden. Aber denkbar wäre es, nach einer Bereinigung der Altlasten der genannten Idee einer Rückversicherung folgend, eine Art Überlauf für die nationalen Sicherungseinrichtungen zu etablieren. Es entspräche dem Gedanken, die Steuerzahler wirksamer abzuschirmen.

Zum Gastbeitrag auf boersen-zeitung.de

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