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(© Foto: Getty Images)
Michael Hüther im Hauptstadtbrief Gastbeitrag 22. März 2020

Was tun?: Es geht jetzt mehr denn je um gemeinsame Verantwortung und um Solidarität

Die Weltwirtschaft steht vor der wohl größten Herausforderung, die sie in den vergangenen einhundert Jahren zu bewältigen hatte: Der Stillstand des öffentlichen Lebens, die Unterbrechung von Wertschöpfungsketten, das Aussetzen der Logistiksysteme, umfangreiche Produktionsunterbrechungen – und all dies von unbekannter, nicht zu prognostizierender Dauer. Kein Land wird sich der Pandemie entziehen können, es handelt sich um einen symmetrischen Schock.

Das Virus nimmt die Ökonomie von zwei Seiten in die Zange: Einerseits durch einen Angebotsschock, weil die Produktion aus mehreren Gründen – Vorleistungen, Liefersysteme, Infrastruktur, Arbeitsausfall – gestört ist, und andererseits durch einen Nachfrageschock, zunächst weil Läden geschlossen sind und der öffentliche Raum gesperrt ist, in Bälde weil durch Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und Insolvenzen der Konsum einbrechen kann.

Im Vergleich mit der Finanzkrise 2008/09 werden die Besonderheiten dieser Krise erkennbar. Damals war die Ursache originär im ökonomischen Handeln verankert, weil nicht nachhaltige Finanzierungsprodukte und -geschäfte eine umfassende Funktionsstörung im Finanzsystem auslösten und so zu einer globalen Vertrauenskrise führten. Die Folge war ein Einbruch des Welthandels und damit der Industrieproduktion um bis zu 50 Prozent, während der Dienstleistungssektor nahezu unberührt blieb. Es gelang mit der G20-Konferenz am 14./15. November 2008, zügig ein gemeinsames Krisenverständnis zu formulieren, notwendige Schritte einer monetären und fiskalischen Krisenpolitik sowie ein Einvernehmen über die notwendigen regulatorischen Reformen am Finanzsystem zu erzielen.

In der Corona-Krise ist das bisher nicht gelungen, weil es überhaupt nur sehr zögerlich zu einem internationalen Austausch kam und weil es global ökonomische Antworten so einfach nicht gibt, auch wenn die Pandemie zu einer ökonomischen Krise ungeahnten Ausmaßes reift. War es vor einer Dekade eine tiefe Industrierezession, so ist es diesmal auch eine Konsumrezession. Der Absturz der Industrie konnte seinerzeit mit fiskalpolitischer Expansion beantwortet werden, die Rettung der Banken war, allein bezogen auf die Anzahl der Institute, überschaubar und damit organisierbar. Heute erleben wir eine massive Bedrohung von Einzelunternehmern, Freiberuflern und Kleingewerbetreibenden sowie Soloselbständigen, die im Einzelhandel und gesellschaftlichen Dienstleistungen engagiert sind. Die Rettungsringe für diese Unternehmen müssen andere sein als für die großen, international aufgestellten Firmen.

Die Überlagerung von Angebotsschock und Nachfrageschock führt dazu, dass in der gegebenen Situation die wirtschaftspolitischen Handlungsmöglichkeiten stark eingeschränkt sind. Denn weder helfen jetzt allgemeine Konjunkturprogramme noch Steuersenkungen und Investitionsprogramme, auch Zinssenkungen sind – abgesehen davon, dass die EZB keinen Spielraum mehr hat – nicht das Mittel der Wahl. Im Mittelpunkt stehen die Unternehmen, denen zum einen die Umsätze wegbrechen, und die zum anderen die laufenden Kosten zu tragen haben. Das führt schnell und unmittelbar zu Existenzrisiken bei vielen kleineren und mittleren Unternehmen, das kann zu massiven Arbeitsplatzverlusten führen. Deshalb war es zunächst so wichtig, dass alles in Gang gesetzt wurde, um die Liquidität und Solvenz der Unternehmen zu sichern: Kurzarbeitergeld, Bürgschaften, Überbrückungshilfen, Steuerstundungen.

Die Dynamik der Pandemie und die Ausbreitung der Virus machen allerdings schnell weitere Maßnahmen dringlich. Denn es ist immer weniger absehbar, wie lange der allgemeine Stillstand währen wird. Und damit geht es um Risiken, die nicht mehr nur durch Maßnahmen der Liquiditätssicherung adressiert werden können. Es steht die Existenz vieler Unternehmen auf dem Spiel, vordringlich kleinere Betriebe, die konsumnah tätig sind. In Deutschland gibt es gut 3 Millionen Unternehmen mit weniger als 10 und im Durchschnitt 1,35 Beschäftigten, dazu kommen noch rund 2,1 Millionen Soloselbständige, also solche ohne eigene Mitarbeiter. Wollte man dort beispielsweise einmalig #10 000 Euro als nicht rückzahlbaren Transfer zur Verfügung stellen, dann wären damit 50 Milliarden Euro Mehrausgaben verbunden. Das lässt die Größenordnung erkennen, um die es gehen kann. Die bayerische Staatsregierung hat in dieser Woche eine solche Soforthilfe für Kleinunternehmen mit bis zu 250 Beschäftigten in der Höhe von 5000 bis #30000 Euro eingerichtet. Die von der Bundesregierung jetzt angekündigten 40 Milliarden Euro klingen also gewaltiger, als sie es tatsächlich sind.

Die fiskalischen Kosten kann der deutsche Staat tragen, die Überschüsse der vergangenen Jahre und die nicht benötigte Rücklagen für andere Zwecke helfen dabei. Einer Kreditfinanzierung stehen darüber hinaus weder verfassungsrechtliche Bedingungen noch Kapitalmarktgegebenheiten entgegen. Letzteres sieht aber für andere Länder der Eurozone anders aus. Italien, das in Europa am stärksten von der Pandemie betroffen, dessen Gesundheitssystem überfordert ist und das den Shutdown des öffentlichen Lebens als Erstes vollzog, ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch fiskalisch stark geschwächt. Die aufgelegten Programme werden die Schuldenstandquote auf neue Höhen klettern lassen, die Risikoprämien sind bereits angestiegen. In abgeschwächter Form stellen sich diese Probleme in Griechenland oder Spanien.

Dort ist Europa gefragt. Denn wenn die Eurozone nun auseinanderfallen sollte, dann wäre wirtschaftlich kaum ein Halten mehr. Die EZB hat auf die gestiegenen Risikoprämien reagiert und diese Woche das „Pandemic Emergency Purchase Programme“ (PEPP) mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro in Gang gebracht. Doch mit den qualitativ erleichterten Möglichkeiten, Staatsanleihen und kurzfristige Schuldverschreibungen von Unternehmen kaufen zu können, ist das Problem nicht gelöst. Diese Krise fordert die Finanzpolitik auch auf europäischer Ebene heraus, anders als vor einer Dekade kann nicht die ganze Last auf der EZB liegen. Deshalb sollte man den Mut haben und durch Corona-Gemeinschaftsanleihen umfassende sowie solidarische Handlungsfähigkeit signalisieren. Diese Sonder-Eurobonds würdennur in der Krise ausgegeben, mit langer Laufzeit und mit großem Volumen (1 Billion Euro).

Was diese Krise zu einer so besonderen Herausforderung macht, das ist die Unmöglichkeit, ihre Dauer und ihren Verlauf in irgendeiner Weise zu prognostizieren. Die Dynamik des Infektionsverlaufs macht deutlich, wie fragil die ökonomische Situation ist. Das führt dazu, dass die Politik notgedrungen auf Sicht fahren muss, wenn es darum geht, Maßnahmen zu definieren, zu skalieren und zu befristen. Es geht vor allem darum, dem Verfall an Vertrauen starke Signale der Handlungsfähigkeit entgegenzusetzen. Das fordert – wie verdeutlicht – die Finanzpolitik, und zwar unlimitiert, in Deutschland wie in Europa. Es geht deshalb auch um gemeinsame Verantwortung und um Solidarität.

Wichtig ist, dass so schnell wie möglich eine belastbare Perspektive entsteht, ab wann mit einer Rückführung der Einschränkungen des öffentlichen Lebens zu rechnen ist. Derzeit wird sogar von Monaten gesprochen; sollte es ab Mai aufwärts gehen, könnte das einen positiven Schub für die wirtschaftlichen Erwartungen geben. Die gesundheitspolitische Herausforderung wäre dabei die Einschätzung, dass gezielte Maßnahmen zur Absicherung von Risikogruppen – vor allem alte Menschen, chronisch Kranke – sowie Verfolgung einzelner Infektionsketten dann hinreichend wirksam sein können.

Zum Gastbeitrag auf derhauptstadtbrief.de

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