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Michael Hüther in der Süddeutschen Zeitung Gastbeitrag 23. August 2018

Fachkräftezuwanderung: Ein mutiges Papier

Die zuständigen Ministerien der Bundesregierung (Inneres, Arbeit und Soziales, Wirtschaft) haben ein mutiges Eckpunktepapier zur Fachkräfteeinwanderung vorgelegt. Es schafft Klarheit über die Zugangswege für die Arbeitsmigration nach Deutschland und setzt an den Schwachstellen des bisherigen Systems an, schreibt IW-Direktor Michael Hüther in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung.

Danach sollen künftig nicht mehr Engpässe in bestimmten Berufen ausschlaggebend sein, sondern allein die Tatsache, dass eine Qualifikation zu einer ihr gemäßen Beschäftigung in Deutschland führt.

Dass jetzt die sogenannte Vorrangprüfung aufgegeben wird, war lange überfällig. Die populistische Empörung, nun würden die Deutschen benachteiligt, zeugt nicht nur von billigem Kalkül, sondern ebenso sehr von ökonomischer Unkenntnis. Denn welchen Sinn hat es, angesichts bestehender Tarifregelungen sowie des Arbeits-und Sozialrechts ausländische Fachkräfte allein wegen ihrer Herkunft einzustellen? Unternehmen interessieren sich für neue Mitarbeiter, die zu ihrer Belegschaft passen; sie fragen nach deren fachlicher Qualifikation und sozialer Kompetenz. Im Übrigen gilt das Antidiskriminierungsgesetz in beide Richtungen: Es schützt jede Person vor Diskriminierung.

Das neue Einwanderungsgesetz soll verhindern, dass Hochschulabsolventen bevorzugt werden; dazu werden Fachkräfte mit dualer Berufsausbildung diesen gleichgestellt. Tatsächlich ist im Bereich der technischen Qualifikationen die Fachkräftelücke noch größer, was auch den - politisch gewollten - Akademisierungstrend spiegelt. Wie sehen dies sowohl bei den MINT-Fachkräften als auch bei den privaten haushaltsnahen Dienstleistungen wie der Pflege. Die bisherigen Regelungen waren hier blind. Das Eckpunktepapier sieht zudem vor, dass jungen Menschen von außerhalb Europas der Zugang zur dualen Berufsausbildung hierzulande erleichtert wird. Dann muss zu Hause wie in der Ferne dieser Qualifikationsweg gewürdigt und beworben werden.

Kritik wurde laut, weil die Gesetzesüberlegungen kein Punktesystem enthalten. Das ist aus heutiger Sicht nachrangig, denn jede Detailregulierung muss laufend aktualisiert werden und droht, Fehlanreize auszulösen. Der nun gemachte Vorschlag für einen einheitlichen Zeitraum, in dem Fachkräfte und Hochschulabsolventen - bei anerkannter Qualifikation und entsprechenden Deutschkenntnissen - zur Arbeitsplatzsuche nach Deutschland kommen können, erscheint praktikabler.

Fachkräftezuwanderung einerseits sowie Flucht und Asyl andererseits sind zwei unterschiedliche Migrationsformen, die grundsätzlich nicht vermischt werden sollten. Flucht und Asyl könnten andernfalls der administrativ für Migranten einfachere Weg sein, hierher zu kommen und die gesetzlich definierte Steuerung der Erwerbsmigration auszuhebeln. Das setzt aber voraus, dass die Anerkennungsverfahren für Fachkräfte tatsächlich "schnell und einfach" sind, wie es in dem Eckpunktepapier heißt. Auch müssen die Verwaltungsverfahren zwischen Visastellen, Ausländerbehörden, Arbeitsverwaltung und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge deutlich verbessert werden. Beides wird eine große Aufgabe für die Verwaltung sein, die bisherige Erfahrung belegt das. Ein One-Stop-Shop wäre eine naheliegende Lösung. Denn es darf nicht sein, dass die Zuwanderung von Fachkräften mit viel Mut und Sinn vereinfacht wird, dann aber daran scheitert, dass die Verfahren zu kompliziert und bürokratisch sind.

In der Einleitung des Eckpunktepapiers findet sich der Hinweis, dass man "die Potenziale der Personen mit Fluchthintergrund, die eine Beschäftigung ausüben dürfen, für unseren Arbeitsmarkt" nutzen wolle. Das klingt dann doch nach dem berüchtigten "Spurwechsel" aus dem Asylrecht in die Arbeitsmigration. Tatsächlich ist das bereits heute Rechtsstand. So eröffnet §18a des Aufenthaltsgesetzes die Möglichkeit, "Geduldeten" nach zwei (drei) Jahren Berufstätigkeit mit akademischer (beruflicher) Ausbildung einen Aufenthaltstitel zur Erwerbstätigkeit zuzusprechen, wenn eine entsprechende Zustimmung seitens der Bundesagentur vorliegt. Im Jahr 2017 betraf dies ganze 111 Fälle. Das Aufenthaltsgesetz ermöglicht zudem, gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden den Aufenthalt zu gewähren; das gilt auch bei nachhaltiger Integration.

Will die Bundeskanzlerin, die jüngst recht kategorisch den Spurwechsel ausgeschlossen hat, diese Paragrafen streichen? Es wäre schade, denn wie will man das Bestandsproblem der grundsätzlich ausreisepflichtigen Ausländer sozial verantwortlich und ökonomisch sinnvoll lösen? Es geht um 235 000 Personen mit und ohne Duldung. Die Abschiebungen hinken als Folge früherer Nachlässigkeit und Versäumnisse dem politisch Versprochenen weit hinterher. Unternehmer, gerade im Handwerk und im Mittelstand, zeigen sich empört über plötzlich anberaumte Abschiebungen von gut integrierten Geflüchteten, die gerade eine Berufsausbildung machen oder berufstätig sind. Zu Recht, denn solches Handeln ist weder betriebswirtschaftlich noch volkswirtschaftlich sinnvoll und es widerspricht angesichts der erreichten Einbindung der Menschen humanitären Überlegungen.

Wie lässt sich das Dilemma lösen? Bis zu einem Stichtag - nehmen wir den 31. Juli 2018 - wird für Personen, die grundsätzlich ausreisepflichtig sind, im Sinne des Paragrafen 18a Aufenthaltsgesetz geprüft, ob ein Aufenthaltstitel zur Erwerbstätigkeit gewährt werden kann. Für alle danach neu auftretenden Fälle wird man konsequent und rechtlich sauber die Abschiebung veranlassen müssen. Diese - für die Kanzlerin beispielsweise - bittere Wahrheit wird von denen, die den Spurwechsel ohne Ausnahme ablehnen, ebenso leicht übergangen wie die Notwendigkeit eines klaren und harten Regimes an den EU-Außengrenzen gegenüber als Flucht getarnter Erwerbsmigration, beispielsweise im Mittelmeer.

Wenn hier nicht geliefert wird und die Europäische Union sowie der Bund das nicht schaffen, dann muss die Politik sich der Risiken bewusst sein, die ein Verzicht auf den "Spurwechsel" mit sich bringt. Als Negativbeispiel kann dafür die - zahlenmäßig viel geringere, etwa 15 000 Personen umfassende - libanesisch-kurdische Fluchtmigration in den 1980er-Jahren gelten; den Menschen wurde der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt. Nicht zuletzt deshalb bildeten sich kriminelle Clan-Strukturen heraus, die Polizei und Justiz bis heute große Sorgen bereiten. Deshalb sollte Politik auch hier das tun, was das Eckpunktepapier verspricht: unaufgeregt und sachlich Probleme lösen.

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