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(© Foto: iStock)
Michael Grömling in inclusive productivity Gastbeitrag 27. Februar 2019

Wie messen wir überhaupt unsere Produktivitätsfortschritte?

Die Zuwächse bei der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit haben in den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften im Zeitverlauf deutlich nachgelassen. Das Thema Produktivitätsschwäche als längerfristiges Phänomen beschäftigt derzeit viele Ökonomen. Kein Wunder: Die Produktivität und das Pro-Kopf-Einkommen in einem Land gehen Hand in Hand, schreibt IW-Ökonom Michael Grömling in einem Gastbeitrag für den Blog der Bertelsmann Stiftung.

Die gegenwärtig schwachen Produktivitätsfortschritte überraschen angesichts der groß angelegten technologischen Veränderungen, die im Kontext der Digitalen Revolution erwartet werden. Freilich brauchen neue Technologien erst eine gewisse Zeit, bis sie vollumfänglich produktivitätswirksam werden. In den Unternehmen entstehen zunächst Rüstkosten, Lerneffekte und Arbeitsplätze, die auch betriebswirtschaftlich gesehen noch zu keinem Umsatz führen. In den Anfangsphasen eines neuen technologischen Zeitalters sind zunächst schwache Produktivitätsfortschritte in Kauf zu nehmen. Es fehlen komplementäre Faktoren (etwa Organisationskapital) und mögliche Produktionsexternalitäten wie Kompetenz- oder Wissenszuwachs bei anderen Unternehmen. Dies zeigen auch historische Beispiele wie die Elektrifizierung. Konträr dazu wird angeführt, dass das schwächere Produktivitätswachstum das Ausbleiben von wesentlichen technologischen Neuerungen widerspiegelt. Um technologischen Fortschritt heutzutage zu erreichen, müsse in einem viel höheren Ausmaß als früher in Forschung und Entwicklung investiert werden. Demnach reflektiere die gesamtwirtschaftliche Produktivitätsschwäche rückläufige Produktivitätsfortschritte in der Forschung.

Die Suche nach dem geeigneten Maßstab

Könnten eventuell auch Messprobleme einen Grund für die statistisch ausgewiesene Produktivitätsverlangsamung darstellen? Diese These ist nicht neu. Vielmehr besteht das generelle statistische Problem, den Strukturwandel und die damit einhergehenden Veränderungen auf der Güter- und Faktorebene adäquat und zeitnah abzubilden. Dieses Messproblem habe möglicherweise mit der das Wirtschaftsleben immer stärker durchdringenden Digitalisierung eine Verschärfung erfahren. Dies hätte dann nicht nur entsprechende Auswirkungen auf die Niveaumessung der gesamtwirtschaftlichen Produktionsleistung, sondern auch auf deren Dynamik.

Wo können potenzielle Messprobleme auftreten?

Um dies zu untersuchen, kann die Definition von Produktivität als Ausgangspunkt hilfreich sein. Bei der Produktivität handelt es sich ganz generell um eine Leistungskennziffer, bei der das Ergebnis der wirtschaftlichen Aktivitäten (Output) auf die zugrunde liegenden Produktionsfaktoren (Inputs) bezogen wird. Für jeden gewählten Input kann eine entsprechende Produktivität ausgewiesen werden. Das gilt im betriebswirtschaftlichen Kontext genauso wie im gesamtwirtschaftlichen. Damit stellt sich empirisch aber die Frage, ob Output und Input überhaupt zweckdienlich und zeitgemäß definiert und gemessen werden.

In gesamtwirtschaftlichen Wachstumsmodellen wird die makroökonomische Wirtschaftsleistung in der Regel mittels der drei Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und technisches Wissen geschaffen. Wird Arbeit eher als ein physischer Beitrag verstanden, dann wird seine qualitative Dimension, also das sogenannte Humankapital, als eigene Determinante oder vereinfachend als technischer Fortschritt interpretiert. Das Gleiche gilt für Umwelt und natürliche Rohstoffe, wenn diese nicht explizit beim Faktor Kapital verbucht werden. Eine Verbesserung des institutionellen Ordnungsrahmens oder eine Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung über Handel und Kapital sind ebenfalls als technischer Fortschritt zu interpretieren. Das oftmals in der Wachstumsrechnung breit abgegrenzte technische Wissen hat also den Charakter eines Residuums. Es umfasst alle Produktions- und Produktivitätszuwächse, die sich nicht aus den Veränderungen der explizit definierten Produktionsfaktoren wie Arbeit und Kapital ergeben.

Ein großer Vorteil dieses Messansatzes besteht darin, dass die Datenlage zum Arbeits- und Kapitaleinsatz auf international abgestimmten Klassifikationen und Messmethoden basiert. Das erst ermöglicht Vergleiche unter den Ländern. Die Angaben zur gesamtwirtschaftlichen Wirtschaftsleistung und zu den Faktoren Arbeit und Kapital sowie zu deren Gewichtungsfaktoren (in der Regel die Einkommensanteile) beruhen meistens auf Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) und der diesem Rechenwerk zugrunde liegenden Definitionen.

Das richtige Maß ist entscheidend

Schließlich zeigt die Wachstumsempirie, dass das tatsächliche gesamtwirtschaftliche Wertschöpfungswachstum nicht nur vom Arbeits- und Kapitaleinsatz bestimmt wird. Die Differenz zwischen dem tatsächlichen Wirtschaftswachstum und den Wachstumsbeiträgen der expliziten Faktoren Arbeit und Kapital wird, zurückgehend auf Robert Solow, als Wachstum der Totalen Faktorproduktivität (TFP) bezeichnet. Dieses Residuum umfasst somit alle Produktions- oder Produktivitätszuwächse, die sich nicht aus den Veränderungen der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital, sondern aus allen anderen Veränderungen im Wirtschaftsleben ergeben. Aber auch alle Fehler bei der Messung der beiden expliziten Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital gehen letztlich in das Residuum und in das TFP-Wachstum ein.

Wie wir unser Wirtschaftsleben wahrnehmen und welche wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen daraus resultieren, hängt also von den zugrunde liegenden statistischen Methoden und Klassifikationen ab. Das gilt für alle Produktivitätskennziffern. Hier schlagen sich neben den definitorischen Besonderheiten auch die – etwa durch Modellschätzungen entstehenden – statistischen Limitationen nieder.

Zum Gastbeitrag auf inclusive-productivity.de

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