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(© Foto: iStock)
Dr. Adriana Neligan im bdvb-Magazin Gastbeitrag 2. Oktober 2019

Weg von der Wegwerfgesellschaft: Die EU stärkt den Kreislaufgedanken

Zur langfristigen Sicherung des immer weiter steigenden Ressourcenbedarfs sowie für den Klimaschutz gewinnt das Konzept der Kreislaufwirtschaft oder auch Circular Economy in der Öffentlichkeit immer mehr an Bedeutung. Häufig wird jedoch noch mit dem deutschen Begriff „Kreislaufwirtschaft“ lediglich Abfallmanagement und Recycling verbunden.

Das heutzutage diskutierte Konzept des kreislauforientierten Wirtschaftens geht jedoch über diese traditionellen Ansätze hinaus. Es macht grundlegende Veränderungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette erforderlich. Die Grundidee eines solchen erweiterten Kreislaufwirtschaftskonzepts ist es, Ressourcen so lange wie möglich im Einsatz zu halten, indem der gesamte Lebenszyklus einer Ressource – von der Gewinnung über die Produktgestaltung, die Produktion und den Verbrauch bis hin zur Abfallwirtschaft – berücksichtigt wird. Ziel ist es, sowohl den Materialeinsatz als auch die Abfallentstehung durch ressourcenschonendes Produktdesign (Öko-Design) sowie durch Recycling und Wiederverwendung von Produkten und Materialien zu minimieren. 

Abfall wird so wieder zu einer Ressource: Sekundärrohstoffe werden durch Recycling aus entsorgtem Material gewonnen. Damit werden Abfälle zu einer inländischen Mine, bei deren Nutzbarmachung natürliche Vorkommen geschont bleiben und CO2 eingespart wird. So stammten im Jahr 2017 laut Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe 41 % des Kupfers, 43 % des Rohstahls und 52 % des Aluminiums aus sekundären Rohstoffen. Da Industrieländer wie Deutschland bei Metallen und vielen anderen Hightech-Rohstoffen praktisch vollständig von Einfuhren abhängig sind, kann die Nutzung von Sekundärrohstoffen auch Importabhängigkeiten reduzieren. Allerdings gibt es große Unterschiede je nach Material: Im Jahr 2016 stammten laut Eurostat im Durchschnitt nur 12 % der in der Europäischen Union eingesetzten materiellen Ressourcen aus zurückgewonnenem Material. Auch in Deutschland lag diese Nutzungsrate Wiederverwendbarer Stoffe nur bei 11 %.

Deswegen will die Europäische Union weg vom linearen Wirtschaftsmodell „Produzieren – Nutzen – Wegwerfen“. Mit ihrem Kreislaufwirtschaftspaket will die Europäische Kommission bisherige Produktions- und Konsummuster gründlich überarbeiten, um eine zirkuläre Wirtschaft zu stärken. Dabei liefert sie im Rahmen eines Aktionsplans wichtige Impulse, um den gesamten Produktlebenszyklus in den Blick zu nehmen. Durch die Berücksichtigung von Recycling- und Wiederverwendungskonzepten in der Produktionsphase und am Produkt selbst soll das Recycling von Produkten erleichtert werden. Schließlich werden bis zu 80 % der Umweltauswirkungen eines Produkts bereits beim Design festgelegt. Das betrifft nicht nur die Entsorgungs- und Recyclingbranchen, sondern macht auch andere Sektoren verantwortungsbewusster für ihre Abfälle, da die beiden miteinander verbundenen Konzepte des ressourcenschonenden Produktdesigns, des sogenannten Ökodesigns, und der erweiterten Herstellerverantwortung immer mehr an Bedeutung gewinnen. Wichtig ist auch Downcycling, das heißt, die Wiederverwertung der Rohstoffe bei sinkender Qualität, so weit sinnvoll, zu vermeiden – hierfür spielt eine Bewertung der Recyclingqualität eine wesentliche Rolle. Auch dieses Thema geht die EU-Kommission an: Über Qualitätsstandards möchte sie mehr Vertrauen in Sekundärrohstoffe schaffen.

Mit der umfassenden Revision der europäischen Abfallgesetzgebung setzt die EU auf Recyceln, Reparieren und Wiederverwenden, damit in den Mitgliedsstaaten künftig weniger Müll anfällt. Als Hoffnungsträger gilt hier die Stärkung der bereits vor einiger Zeit etablierten Abfallhierarchie. Die Idee dahinter: Müll soll möglichst vermieden, dann wiederverwendet, recycelt, energetisch verwertet und erst danach beseitigt werden.

Das oberste Gebot in der Abfallhierarchie ist Müllvermeidung. Trotzdem wächst der Müllberg in Deutschland immer weiter, während er anderswo schrumpft. Die Bundesrepublik belegt aktuell innerhalb der Europäischen Union beim Siedlungsabfall – dem Hausmüll inklusive hausmüllähnlichen Gewerbeabfällen – den dritten Platz. Dabei handelt es sich also nicht um den Industriemüll. Jeder Verbraucher produzierte im Jahr 2017 im Durchschnitt jährlich 633 Kilogramm Abfall, während der EU-Durchschnitt gerade einmal bei 486 Kilogramm lag. Spitzenreiter waren die Dänen mit 781 Kilogramm pro Kopf.

Mehr Haushaltsmüll ist aber auch ein Wohlstandsindikator. So hat auch Deutschland im vergangenen Jahrzehnt mit seinem starken Wirtschaftswachstum für ein großes Müllwachstum gesorgt. Seit 2005 ist die absolute Menge an Siedlungsabfall um 12 % gestiegen. Zum Vergleich: Im EU-Durchschnitt sind Siedlungsabfälle um drei Prozent gesunken. Immerhin gibt es auch gute Nachrichten: Die sogenannte Abfallintensität hat abgenommen, also das Verhältnis zwischen Müll und Bruttoinlandsprodukt. Das wiederum ist ein Indikator für nachhaltige Abfallwirtschaft.

Zur Stärkung der Abfallhierarchie war der Beschluss neuer EU-weit geltender Recycling- und Deponierziele im Rahmen des Kreislaufwirtschaftspakets sehr wichtig. Die Recyclingquote von 65 % der Siedlungsabfälle, die jetzt bis 2035 angepeilt wird, bleibt jedoch hinter zuvor diskutierten Zielen zurück. Zudem gibt es künftig weniger Berechnungsmöglichkeiten für Recyclingziele: Grundsätzlich gelten nur solche Abfälle als recycelt, die tatsächlich wiederverwertet werden. Aktuell betrachten viele Länder Müll als recycelt, wenn er nur zur Wiederverwertung gesammelt oder vorsortiert wird. Dazu zählt auch Deutschland.

Mit einer offiziellen Recyclingquote von 68 % hätte Deutschland als einziges EU-Land bereits heute das Ziel für 2035 erreicht – aber nur dank der bisher gültigen Recyclingdefinition. Die deutsche Gesellschaft für Abfallwirtschaft geht davon aus, dass weniger als 40 % tatsächlich recycelt wird, und hatte im Jahr 2017 eine Recyclingquote nach der neuen EU-Berechnungsmethode zwischen 47 und 52 % ausgerechnet. Um die 65-%-Marke aus Brüssel zu erfüllen, müsste dann die Recyclingquote hierzulande bis 2035 jährlich um 0,7 und 0,9 Prozentpunkte steigen, wie eigene Berechnungen zeigen. In den vergangenen zehn Jahren schaffte Deutschland nur 0,4 Prozentpunkte jährlich.

Der Übergang von der Deponierung hin zu mehr Recycling verlief bislang schleppend: Aktuell gibt es immer noch acht EU-Staaten, wie Rumänien oder Griechenland, in denen mehr als die Hälfte des Haushaltsmülls einfach entsorgt wird. Nur acht Länder deponieren weniger als zehn Prozent ihres Siedlungsabfalls und erfüllen damit das neue EU-Deponierziel für 2035. Hier gibt es also noch einiges zu tun.

Insgesamt hat das Recycling in Europa in den vergangenen Jahren jedoch an Bedeutung gewonnen: Die offiziellen EU-Recyclingraten sind zwischen 2005 und 2017 von 32 auf 46 % gestiegen. Allerdings reicht das immer noch nicht, um die ehrgeizigen neuen EU-Ziele zu erreichen. Länder mit niedrigem Recyclingniveau sind jetzt gefragt, um auch wirklich eine neue Infrastruktur für ihre Abfallwirtschaft zu schaffen.

Deutschland steht auch bei einer angepassten Definition des Recyclingbegriffs europaweit an der Spitze. Damit die Bundesrepublik auch in Zukunft die EU-Recyclingführerschaft behält, gilt es, effizienter und besser zu recyceln. Die deutsche Recyclingwirtschaft ist dank ihres Know-hows, ihrer etablierten Infrastruktur und ihrer Vorzeigetechnologien in einer hervorragenden Ausgangsposition. Acht der zehn weltweit innovativsten Unternehmen, die Wertstofftrennungsanlagen konstruieren, kommen laut Institut der deutschen Wirtschaft aus Deutschland. Die deutsche Recyclingwirtschaft könnte auch anderen Ländern dabei helfen, ihre Quote deutlich zu verbessern – und würde so vom neuen europäischen Umweltbewusstsein profitieren.
 

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