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Michael Hüther Gastbeitrag 19. April 2007

Aufschwung braucht Zuwanderung

Nichts hilft so rasch gegen Engpässe am Arbeitsmarkt wie die Zulassung von Fachkräften aus dem Ausland.

Die Hannover Messe ist auch im sechzigsten Jahr ihres Bestehens unverändert ein wichtiges Barometer für die gesamtwirtschaftliche Situation. In dieser Woche sind die Prognosen einer fortgesetzt guten Konjunkturentwicklung in Deutschland bestätigt worden, sind die Äußerungen von den Spitzen der Industrie nahezu euphorisch ausgefallen. Doch im Schwange allgemeiner Begeisterung geht zumal in der Politik leicht das Empfinden für Verwerfungen verloren. So fehlen uns schon jetzt in erheblichem Maße Fachkräfte, da die Erholung gerade erst richtig Fahrt aufgenommen hat.

Zwar hat der Arbeitsplatzaufbau recht spät begonnen, bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen genau genommen erst vor einem Jahr. Doch die Dynamik ist eindrucksvoll. Wir haben die besten Aussichten für mehr reguläre Arbeitsplätze seit sechs Jahren. Dabei stagniert nun die Entwicklung geringfügiger Beschäftigung, die in den Vorjahren getragen hat. Allerdings wird der Boom bei der Zeitarbeit vielfach als Beleg für die mangelnde Qualität der neuen Arbeitsplätze gesehen.

Dagegen spricht, dass es sich um vollwertige Jobs in einem stark regulierten Bereich des Arbeitsmarktes handelt. Außerdem verweist die Nutzung der Zeitarbeit auf den Flexibilitätsbedarf der Unternehmen und die Schwierigkeiten bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter.

Dass dies trotz eines hohen Bestands an Arbeitslosen kein Randphänomen ist, zeigen die Daten. Die Anzahl der gemeldeten offenen Stellen hat schon 2006 das höchste Niveau seit 1991 erreicht. Zwar kommen derzeit noch immer 6,4 registrierte Arbeitslose auf eine gemeldete offene Stelle. Allerdings liegt die Quote, bezogen auf alle offenen Stellen, bei 2,4 - ein historisch niedriger Wert. Für eine Reihe von gewerblichen Berufen wie Werkzeugmacher, Elektriker und Schlosser gibt es mitunter bereits Engpässe.

Besonders deutlich ist die Mangelerscheinung in einer traditionellen Domäne deutscher Ausbildung, bei Ingenieuren. Immer noch gilt Deutschland hier weltweit als führend. Zugleich erweist sich diese Kompetenz als Schlüsselqualifikation in vielen zukunftsweisenden Branchen.

Nach einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln konnten im vergangenen Jahr rund 48.000 vakante Stellen nicht mit Ingenieuren besetzt werden. Dabei hat sich die Anzahl arbeitsloser Ingenieure seit 1999 halbiert. Mit anderen Worten: Es fehlt ein ganzer Studienjahrgang. Der Engpass betrifft nicht nur die traditionellen Einsatzbereiche wie die Elektroindustrie und den Maschinenbau, sondern ebenso unternehmensnahe Dienstleister.

Der Mangel an Fachkräften wirkt aus mehreren Gründen belastend. Vielen Unternehmen wird es dadurch nicht möglich, ihre Leistungsfähigkeit so auszuweiten, wie es die Marktdynamik ermöglichen würde.

Nach der IW-Studie entgeht der deutschen Wirtschaft Wertschöpfung in Höhe von mindestens 3,5 Mrd. Euro. Nicht berechnet werden können die aber ebenso bedeutsamen Belastungen der Innovationskraft unserer Unternehmen und damit letztlich der Wettbewerbsfähigkeit der ganzen Volkswirtschaft.

Vergessen darf man auch nicht, dass der Aufbau qualifizierter Arbeitsplätze - für das laufende Jahr sind im Ingenieurbereich Neueinstellungen von 8,4 Prozent des vorhandenen Personals geplant - die Basis für neue Beschäftigungsmöglichkeiten gering Qualifizierter verbessert. Die Komplementarität ist in vielen Branchen zu beobachten. Somit wird klar, dass angesichts der immer noch beachtlichen Höhe der gesamtwirtschaftlichen Arbeitslosigkeit eine Doppelstrategie geboten ist: einerseits das Fordern und Fördern der Langzeitarbeitslosen effektiver zu gestalten, andererseits, und das ist nicht minder wichtig, die Bildung von Schlüsselqualifikationen zu verbessern.

Eine zielgenaue Therapie muss die Ursachen ernst nehmen, die teilweise tief verankert sind in Einstellungen und Vorlieben. Das beginnt mit dem anhaltend geringen Interesse an naturwissenschaftlichen Fächern in den Gymnasien, was auch den Trend der letzten Jahre zu den Rechts-, Sozial- und Kulturwissenschaften bei der Studienwahl erklärt. Außerdem beobachten wir in Deutschland eine recht geringe Neigung von Frauen, sich technisch-naturwissenschaftlichen Fächern zu verschreiben.

Dabei gibt es eine Vielzahl von Projekten, die jungen Menschen die so genannten MINT-Fächer - Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik - nahe bringen sollen. Die Mobilisierung der Fachlehrer wäre ein wichtiger weiterer Schritt. Gerade Kooperationen von Unternehmen mit Bildungseinrichtungen sind ein wichtiger Hebel an dieser Stelle, aber hier benötigt man einen langen Atem.

Auf politischer Ebene muss Vorsorge dafür getroffen werden, dass über eine breitere Basis an Hochschulabsolventen auch die Anzahl von Ingenieurstudenten zunehmen kann. Alles, was wir derzeit bildungspolitisch diskutieren, wird dabei relevant, von den Reformen im schulischen Bereich bis zu den Veränderungen an den Hochschulen. Vieles läuft zu zögerlich, vor allem zu wenig bundesweit koordiniert.

Notwendig ist ohne Zweifel eine Weiterentwicklung des Zuwanderungsrechts. Die deutliche Absenkung der Verdienstschwelle wäre ein wichtiger, wenngleich nicht ausreichender Schritt, ebenso die Lockerung der Vorprüfung, ob kein inländischer Bewerber verfügbar ist. Es gibt kein anderes Instrument, das auf kurze Sicht vergleichbar wirksam Abhilfe verspricht. Der Verweis auf den weitgehend geräumten Arbeitsmarkt für Ingenieure ist einschlägig. Deswegen sollten wir den Mut für eine wirklich ökonomisch gesteuerte Zuwanderung aufbringen.

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