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(© Foto: Getty Images)
Adriana Neligan in der Süddeutschen Zeitung Gastbeitrag 9. Februar 2020

Es geht auch ohne Gängelung

Klimaschützer fordern von den Menschen oft Verzicht. Besser wäre, nicht weniger, sondern anders zu konsumieren. Ein Gastbeitrag von IW-Umweltexpertin Adriana Neligan.

Forderungen nach Verzicht sind gerade en vogue: Der Konsum zerstöre unsere Zukunft, heißt es beispielsweise regelmäßig freitags in den Innenstädten. Postwachstumsverfechter werben für Konzepte, die ein stetiges Wirtschaftswachstum infrage stellen. Wachstum und Konsum stehen nach Ansicht von Kritikern für Überfluss, der langfristig die Welt aus den Angeln hebt und unsere Zukunft gefährdet.

Ganz so einfach ist es aber nicht: Konsum und Wachstum sind fester Bestandteil von Fortschritt, Wohlstand und Sicherheit - und danach streben Menschen seit Jahrtausenden. Dabei geht es meist nicht um eine stetige Steigerung, sondern eher um grundlegende Bedürfnisse wie Essen, Wohnen, Gesundheit und Mobilität.

Darüber hinaus erfüllt Konsum den Wunsch nach Komfort, Unterhaltung oder Prestige. Das wiederum kommt der Gesellschaft zugute: Je besser ein Mensch seine Bedürfnisse befriedigen kann, desto höher sind Zufriedenheit und Wohlstand. Das geht oft auch mit höherer Qualität und mehr Nachhaltigkeit einher. Das können Fairtrade-Produkte sein, aber auch höherwertige regional und ökologisch hergestellte Lebensmittel oder Möbel aus Nicht-Tropenholz.

Konsumenten können ihrerseits einen Beitrag leisten, indem sie Umweltaspekte oder soziale Aspekte bei Kauf und Nutzung von Produkten und Dienstleistungen berücksichtigen: Ihre Kaufentscheidungen erhöhen den Stellenwert für Nachhaltigkeit und fördern Innovationen. Wer also bewusst Produkte kauft, die gut fürs Klima sind, wie beispielsweise Haushaltsgeräte mit Energieeffizienzklasse A+++, steuert Angebot und Nachfrage - und das ganz ohne Verbote und Gängelung.

Unstrittig ist, dass wir zugunsten des Umwelt- und Klimaschutzes maßvoll mit Ressourcen umgehen müssen. Wir müssen künftig anders konsumieren: weniger Ressourcen verbrauchen, Abfälle vermeiden und weniger CO2 ausstoßen. Dafür braucht es ökonomisch tragfähige Lösungen, die ökologische, aber auch soziale Aspekte stärker berücksichtigen.

Dafür gibt es drei Wege: Zum einen gilt es, weniger Ressourcen zu verbrauchen. Zum anderen müssen Ressourcen mehrfach gebraucht werden - oder ganz durch klima- und umweltfreundlichere Alternativen ersetzt werden. Für den Verbraucher bedeutet das, dass er Produkte künftig länger nutzt. Oder das Produkt gar nicht erst kauft, sondern mietet.

Um Produkte oder ihre Bestandteile wiederzuverwenden oder zu recyceln, müssen die Produkte wieder ihren Weg vom Nutzer zum Hersteller finden. Für die Unternehmen ergeben sich neben dem Klima- und Umweltschutz weitere Vorteile: Sie können Ressourcen und damit Kosten einsparen, ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor. Die Nutzung von "Sekundärrohstoffen" kann Importabhängigkeiten reduzieren und so die Versorgungsbasis der deutschen Wirtschaft verbreitern. Zudem eröffnet der Übergang zu einer Wirtschaft, in der Rohstoffe konsequent im Wirtschaftskreislauf bleiben sollen, neue Absatzwege, beispielsweise über Sharing-Konzepte, die zu neuen Geschäftsmodellen führen.

Konsumverzicht allein ist zudem nicht in der Lage, Klimaneutralität zu erreichen. Deshalb ist eine fundamentale Transformation der konventionellen Wirtschaft unverzichtbar –  hin zu effizienten, CO2-armen Produkten, Technologien und Diensten mithilfe technischer und sozialer Innovationen und Investitionen. Bereits heute nehmen Produzenten im Rahmen einer umweltgerechten Produktgestaltung Aspekte wie Ressourcenschonung, Lebensdauer, Reparaturfreundlichkeit, Nachrüstbarkeit oder auch Recyclingfähigkeit zunehmend stärker in den Blick. Gut jedes zweite Industrieunternehmen setzt bereits beim Produktdesign an, um Materialeinsatz, Schadstoffe, Emissionen und Abfall im gesamten Lebenszyklus eines Produkts zu minimieren. Damit können Unternehmen bereits in der Produktplanung ihre Verschnitte beispielsweise von Materialien wie Schaumstoffen weitgehend reduzieren. Das spart nicht nur Material, sondern vermeidet auch Abfälle.

Nachhaltiger Konsum und nachhaltiges Wachstum sind technologische Herausforderungen, die alle Bereiche der Wirtschaft betreffen. Sie machen eine innovationsorientierte Wirtschaftsweise im Einklang mit der Natur und Umwelt erforderlich. Benötigt werden kreative innovative Ideen für saubere Produktionslösungen, klimafreundliche Produkte und Dienstleistungen bis hin zu komplett neuen Geschäftsmodellen. Mit Innovationen, die einen effizienteren Einsatz von Stoffen und Energie sicherstellen und konsistent Stoffkreisläufe schließen, können Wirtschaftswachstum und Umwelt versöhnt werden. Unstrittig ist, dass noch einige Herausforderungen bewältigt werden müssen: Effizienzsteigerungen oder auch die Nutzung erneuerbare Energien werden noch durch unerwünschte Rückwirkungen konterkariert, in vielen Bereichen ist ein vollständiges Schließen von Stoffkreisläufen noch nicht realisierbar oder der Energiebedarf noch sehr hoch.

Damit soziale und ökologische Nachhaltigkeit nicht im Widerspruch zueinander stehen, brauchen wir Wachstum, um den wirtschaftlichen Strukturwandel zu finanzieren. Denn Unternehmen entwickeln ihre Produkte im marktwirtschaftlichen Wettbewerb beständig weiter. Daraus entsteht technologischer Fortschritt, der auch zur Lösung ökologischer und sozialer Probleme beitragen kann. Zudem schafft Wachstum die materiellen Voraussetzungen, mit denen die notwendigen Investitionen für mehr Klima- und Umweltschutz finanziert werden können. Die Erschließung neuer grüner Märkte und die Entwicklung von Ökoinnovationen können auch Wachstumstreiber sein, da sie Wettbewerbsvorteile und neue Geschäftsfelder für die Wirtschaft schaffen.

Es ist eine Illusion, die Weltwirtschaft zum Anhalten oder gar zum Schrumpfen zu bekommen. Nachdem das Pariser Klimaabkommen und die UN-Agenda für nachhaltige Entwicklung wesentliche Impulse geliefert haben, um die Weltwirtschaft nachhaltiger, umwelt- und klimafreundlicher zu gestalten, gilt es, diese global umzusetzen. Es hilft allerdings auch nicht, wenn Deutschland alleine Konsum und Produktionsweisen ändert und alle anderen nicht mitmachen. Deutschland ist letztlich lediglich für zwei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Benötigt werden überzeugende Wege für einen Strukturwandel für mehr Nachhaltigkeit durch Wachstum mit Innovationen, die nicht nur bei uns funktionieren, sondern auch für andere Länder machbar sind.

Zum Gastbeitrag auf sueddeutsche.de

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