1. Home
  2. Studien
  3. Bildungsmonitor 2021: Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Bildungsgerechtigkeit
Wido Geis-Thöne / Axel Plünnecke Gutachten 10. Mai 2021 Bildungsmonitor 2021: Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Bildungsgerechtigkeit

Die Corona-Pandemie und die zu ihrer Eindämmung ergriffenen Schutzmaßnahmen haben zu großen Herausforderungen im Bildungssystem geführt, die sich langfristig auch negativ auf die Chancengleichheit und die Bildungsgerechtigkeit auswirken können.

PDF herunterladen
Gutachten
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Bildungsgerechtigkeit
Wido Geis-Thöne / Axel Plünnecke Gutachten 10. Mai 2021

Bildungsmonitor 2021: Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Bildungsgerechtigkeit

Gutachten im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM)

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die Corona-Pandemie und die zu ihrer Eindämmung ergriffenen Schutzmaßnahmen haben zu großen Herausforderungen im Bildungssystem geführt, die sich langfristig auch negativ auf die Chancengleichheit und die Bildungsgerechtigkeit auswirken können.

Dabei sind nicht nur die Kindergarten- und Schulkinder betroffen, deren Lage in den Medien häufiger thematisiert wird, sondern auch die Jugendlichen und jungen Erwachsenen. So mussten auch bei den hochschulischen, betrieblichen und weiteren Bestandteilen von Bildungswegen größere Anpassungen vorgenommen werden. Zudem ist es bei den Angeboten zur Berufs- und Studienorientierung, die für die Übergänge zwischen den verschiedenen Abschnitten der Bildungswege von entscheidender Bedeutung sind, zu starken Einbrüchen gekommen

Betrachtet man zunächst den hochschulischen Bereich, so ist die Umstellung auf digitale Lehrangebote hier in der Regel ohne größere Schwierigkeiten verlaufen. Rund drei Viertel der Studierenden gaben im Sommersemester 2020 an, dass es nicht zu Lehrausfällen gekommen sei, und bei 85 Prozent wurden mehr als die Hälfte der besuchten Lehrveranstaltungen digital angeboten. Allerdings war bei 22 Prozent der Studierenden die Internetverbindung und bei 20 Prozent die Wohnform für die digitale Lehre an sich nicht geeignet. Ein Teil der Studierenden kann also nur in beschränktem Maß an der digitalen Lehre teilhaben und droht damit den Anschluss zu verlieren. Auch lassen sich die Prüfungen teilweise nur schwer digitalisieren, sodass Studierende und Hochschulen hier vor besonderen Herausforderungen stehen. Dies ist insbesondere für die Vergleichbarkeit der dokumentierten Leistungen zwischen verschiedenen Studienjahrgängen ein Problem, die im Sinne der Bildungsgerechtigkeit unbedingt erhalten bleiben muss. Schließlich bedeutet Chancengleichheit auch, dass Geburtsjahr und Ausbildungs- oder Studienbeginn möglichst keinen Einfluss auf die Bildungs- und Karrierechancen haben sollten

Besonders ungünstig ist für viele Studierende, dass der Kontakt zu ihren Kommilitonen nur in sehr eingeschränktem Maß möglich ist. So nannten 69 Prozent im Sommersemester 2020 das mangelnde Sozialleben als eine unter den fünf größten Herausforderungen während der Corona-Pandemie. Dies kann sich auch sehr negativ auf den Lernprozess auswirken, da Verständnisprobleme zu normalen Zeiten häufig in Flur- und Campusgesprächen geklärt werden, die aktuell nur schwer möglich sind. Auch ist die Zusammenarbeit in Lerngruppen deutlich schwieriger geworden. Haben Studierende in ihrem sozialen Netzwerk keine Personen mit entsprechendem Fachwissen und tun sich schwer damit, bei Fachfragen Mitstudierende und Lehrende gezielt zu kontaktieren, drohen sie in der aktuellen Situation abgehängt zu werden. Zudem haben viele Studierende mit den gestiegenen Anforderungen an die Selbstorganisation Schwierigkeiten. So gaben 62 Prozent im Sommersemester 2020 an, dass die Tagesstrukturierung für sie schwieriger geworden sei, obschon die wegfallenden Wegzeiten hier an sich zu einer Entlastung führen müssten. Ein weiteres Problem ist die Studienmotivation. Ferner wollte im Sommersemester 2020 rund jeder Zehnte das Studium verlängern, um auf einen besseren Zeitpunkt für den Berufseinstieg zu waten. Auch beklagen 18 Prozent der Studierenden finanzielle Probleme, obwohl Deutschland mit BAföG, KfW-Krediten und Corona-Nothilfen an sich eine sehr umfassende Existenzsicherung für Studierende betreibt und die hochschulische Ausbildung hier anders als in den meisten anderen entwickelten Ländern für die Studierenden weitgehend kostenfrei ist.

Während die Zahl der inländischen Studienanfänger zwischen den Jahren 2019 und 2020 noch leicht gestiegen ist, war das der Bundesagentur für Arbeit gemeldete Stellenangebot in der dualen Ausbildung vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie für das jeweilige Berichtsjahr im September 2020 mit 477.000 Stellen niedriger als im September 2019 mit 516.000. Gleichzeitig ist allerdings auch die Zahl der gemeldeten Bewerber von 482.000 auf 447.000 gesunken, sodass rein rechnerisch immer noch genügend Stellen zur Verfügung stehen, um jedem Bewerber ein Ausbildungsangebot Institut der deutschen Wirtschaft Corona und Bildungsgerechtigkeit Kurzgutachten zum INSM-Bildungsmonitor Seite 5 von 30 zu machen. Dennoch sind fast drei Viertel der 14- bis 20-Jährigen der Meinung, dass sich die Chancen auf einen Ausbildungsplatz verschlechtert haben. Welche Bedeutung diese Entwicklung für die Bildungsgerechtigkeit hat, lässt sich noch nicht abschätzen, da sich noch nicht feststellen lässt, wo die fehlenden Bewerber verblieben sind. Bei den Inhalten der betrieblichen Bildung mussten coronabedingt häufig größere Anpassungen vorgenommen werden, die das letztlich erreichte Qualifikationsniveau beinträchtigen und zu Einschränkungen bei der Chancengleichheit im Kohortenvergleich führen könnten. So gab im Herbst 2020 rund ein Drittel der Betriebe an, dass Ausbildungsinhalte nicht, wie geplant, vermittelt werden konnten, und ein Viertel, dass Auszubildende in Folge von Kurzarbeit nicht im üblichen Umfang tätig sein und betreut werden konnten.

Bei den weiteren Bestandteilen von Bildungswegen ist es in der Pandemie-Situation an vielen Stellen zu einem weitgehenden Wegfall der Angebote gekommen. So haben im Frühjahr 2020 etwa fast keine Zuwanderer einen Integrations- oder berufsbezogenen Sprachkurs begonnen. Gleiches gilt auch für Zertifikatsprüfungen. Ebenfalls auf breiter Front eingebrochen ist die Berufs- und Studienorientierung. So gab es den Angaben von Schülern und Schulabgängern zufolge nach Ausbruch der Pandemie wesentlich weniger Beratungsangebote durch Schulen und weitere Einrichtungen, Tage der offenen Türe und Praktikumsmöglichkeiten bei Unternehmen sowie Jobmessen. Erhalten junge Menschen von ihrem sozialen Netzwerk keine oder nur wenig Unterstützung bei der Entscheidung über ihren weiteren Bildungsweg und der Suche nach einem passenden Ausbildungs- oder Studienplatz, ist die Gefahr von Fehlentscheidungen mit langfristig negativen Folgen für sie in der aktuellen Situation sehr groß.

Welche Maßnahmen konkret ergriffen werden können, um den negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie entgegenzuwirken, hängt nicht nur vom jeweiligen Bildungszweig, sondern auch vom aktuellen Infektionsgeschehen ab. Dennoch lassen sich einige Leitlinien aufzeichnen. Die erste ist, dass der Kontakt zwischen Lehrendem und Lernendem, so weit wie möglich, gegebenenfalls auch über digitale Medien erhalten bleiben und die Beratung der Bildungsteilnehmer gestärkt werden sollte. In jedem Fall sollten die Lernenden in der von Unsicherheit geprägten, aktuellen Situation bei ihren Lernprozessen von Lehrenden möglichst im gleichen Umfang, wie bisher, begleitet werden. Überdies sind gerade in der aktuellen Situation Mentorenprogramme hilfreich, die bei jungen Menschen mit eher ungünstigen sozialen Netzwerken kompensatorisch wirken können. Zudem sollten sich die ausbildenden Institutionen verstärkt miteinander austauschen und von den Erfahrungen anderer lernen. Auch sollte die Politik gerade jetzt Ausgaben im Bildungsbereich verstärkt als Investitionen betrachten und hier entsprechend gegebenenfalls auch größere Mittel einsetzen (etwa für digitale Ausstattung von Bildungseinrichtungen und Förderkurse an Berufsschulen), um die negativen Folgen der Pandemie abzumildern. Die zusätzlichen Ausgaben sollten dabei durch Evaluationen begleitet werden, um Effektivität und Zielgenauigkeit sicherzustellen.

PDF herunterladen
Gutachten
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Bildungsgerechtigkeit
Wido Geis-Thöne / Axel Plünnecke Gutachten 10. Mai 2021

Bildungsmonitor 2021: Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Bildungsgerechtigkeit

Gutachten im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM)

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Mehr zum Thema

Artikel lesen
Eine Kölner Einkaufsstraße im Februar 2022: Das Coronavirus hat das Land fest im Griff, shoppen war nur teilweise möglich.
Michael Grömling Pressemitteilung 22. Februar 2024

Vier Jahre Krisen: Der deutschen Wirtschaft fehlen 545 Milliarden Euro

Vier Jahre Coronapandemie, zwei Jahre Krieg in der Ukraine. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) berechnet in einer neuen Studie, was die Krisen der gesamten Volkswirtschaft gekostet haben.

IW

Artikel lesen
Michael Grömling IW-Report Nr. 11 22. Februar 2024

Wirtschaftliche Auswirkungen der Krisen in Deutschland

Die großen Krisen der vergangenen vier Jahre – zunächst die Pandemie und dann die russische Invasion in der Ukraine mit ihren geopolitischen Verwerfungen – haben ihren Preis.

IW

Mehr zum Thema

Inhaltselement mit der ID 8880