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Susanna Kochskämper IW-Kurzbericht Nr. 52 9. September 2016 Ein einheitliches Rentenrecht für Ost und West

Mehr als 25 Jahre nach der Wiedervereinigung ist das deutsche Rentenrecht immer noch geteilt. Die gesetzlichen Renten werden für Ost- und Westdeutschland unterschiedlich berechnet. Doch die ursprüngliche Begründung der um ein Vielfaches niedrigeren Löhne im Osten kann heute nicht mehr überzeugen.

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Ein einheitliches Rentenrecht für Ost und West
Susanna Kochskämper IW-Kurzbericht Nr. 52 9. September 2016

Ein einheitliches Rentenrecht für Ost und West

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Mehr als 25 Jahre nach der Wiedervereinigung ist das deutsche Rentenrecht immer noch geteilt. Die gesetzlichen Renten werden für Ost- und Westdeutschland unterschiedlich berechnet. Doch die ursprüngliche Begründung der um ein Vielfaches niedrigeren Löhne im Osten kann heute nicht mehr überzeugen.

Denn auch im Westen unterscheidet sich das Lohnniveau teilweise erheblich. Eine Vereinheitlichung des Rentenrechts ist daher sinnvoll. Im Gegensatz zum Vorschlag des Bundesarbeitsministeriums lässt sich eine Angleichung des Rentenrechts jedoch auch ohne zusätzliche Ausgaben erreichen.

Die deutsche Gesetzliche Rentenversicherung beruht auf dem Prinzip der Teilhabeäquivalenz: Ein Rentner soll dieselbe relative Einkommensposition (bezogen auf alle Rentner) einnehmen, die er als Arbeitnehmer hatte (bezogen auf alle Arbeitnehmer). In seiner Umsetzung bedeutet dieses Prinzip, dass im selben Jahr erzielte identische Einkommen zu gleichen Rentenansprüchen führen. Im Ost-West-Bezug ist dieses Prinzip jedoch durchbrochen: Bei gleichem Gehalt und damit gleichen Beitragsleistungen kann sich durch das Zusammenspiel von aktuellem Rentenwert, Umrechnungsfaktor und Beitragsbemessungsgrenze ein höherer Rentenanspruch für einen ostdeutschen Arbeitnehmer ergeben. Hierzu ein kurzes Beispiel:

Ein nach dem Tarifsystem des öffentlichen Dienstes (TVöD SuE) bezahlter Erzieher erhielt 2015 vor der Tariferhöhung in der höchsten Entgeltstufe ein Bruttogehalt von 3.289 Euro im Monat. Arbeitete er in Köln, betrug seine daraus erzielte Rentenanwartschaft für dieses Jahr 32,94 Euro. War er hingegen in Dresden beschäftigt, lag die erworbene Rentenanwartschaft bei 36,49 Euro, also knapp 11 Prozent höher.

Geschuldet ist diese Besonderheit den starken Lohndifferenzen in Ost und West zum Zeitpunkt der Wende. Direkt nach der Wiedervereinigung lagen die durchschnittlichen Bruttolöhne und –gehälter in den neuen Bundesländern bei nur 58 Prozent des Westniveaus (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, 2015, S. 4). Dennoch wollte man die ostdeutschen Arbeitnehmer und Rentner direkt in das gesetzliche Rentensystem integrieren. Bei einer einheitlichen, rein auf den Bruttolöhnen basierenden Rentenberechnung wären die im neuen Bundesgebiet erzielten Rentenansprüche jedoch weit hinter denen in Westdeutschland zurückgeblieben. Diese Unterschiede in den späteren Renten sollten abgefedert und damit Langzeitfolgen des Transformationsprozesses für die „Übergangsgeneration“ gemildert werden. Deshalb wurden Sonderregeln für die neuen Bundesländer beschlossen – dazu gehören ein nach Ost und West differenzierter aktueller Rentenwert, eine unterschiedliche Bezugsgröße bei der Rentenberechnung und eine niedrigere Beitragsbemessungsgrenze für Ostdeutschland. Dabei ging man davon aus, dass sich das Lohnniveau im Osten sehr rasch an das des Westens anpassen würde. Mit zunehmender Angleichung wären diese Sonderregeln automatisch ausgelaufen. Zunächst stiegen die Löhne in Ostdeutschland auch tatsächlich schneller als im Westen, allerdings verlangsamte sich dieser Prozess nach 1996 (s. beispielsweise die Übersicht bei Jansen/Bäcker, 2008, sowie Steffen 2013). Gegenwärtig liegt das für die Rentenberechnung (vorläufig) ermittelte Durchschnittsentgelt Ost bei 87 Prozent des Durchschnittsentgelts West. Demnach hätte die rechtenrechtliche Sonderbehandlung also weiterhin ihre Berechtigung.

Es ist jedoch zweifelhaft, ob sich eine solche pauschale Aufwertung ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung noch rechtfertigen lässt. Werden die Bruttolöhne und –gehälter nur nach Ost und West differenziert aggregiert, kaschiert dies bestehende Unterschiede innerhalb der beiden Gebiete. Denn die Arbeitsentgelte sind heute in den beiden Gebietsständen keineswegs homogen verteilt (hierzu auch Sachverständigenrat, 2008, S. 374), sowohl in Ost, vor allem aber auch in West finden sich große regionale Lohnspreizungen (s. Tabelle): So wies in 2013 die Stadt Wolfsburg in Niedersachsen das bundesweit höchste durchschnittliche Bruttolohnniveau auf, in demselben Bundesland fand sich aber auch der bundesweit siebt niedrigste Wert in Delmenhorst. Woher diese Varianz kommt, lässt sich bisher nicht abschließend klären. Zum Teil lässt sie sich auf die Wirtschaftsstruktur zurückführen: So haben beispielsweise in Regionen mit niedrigem Lohnniveau in erster Linie einkommensschwächere Wirtschaftszweige hohe Beschäftigtenanteile oder es sind eher ausführende statt hochqualifizierte Tätigkeiten angesiedelt (Jansen/ Bäcker, 2008). Umgekehrt dienen systematische Unterschiede in der tariflichen Entlohnung immer weniger als Erklärungsfaktor für den Unterschied zwischen Ost und West. In den vergangenen Jahren hat das Tarifniveau Ost/West weiter zugenommen und liegt inzwischen bei 97,4 Prozent (WSI-Tarifarchiv, 2016).

Vor diesem Hintergrund ist es problematisch, dass ein Arbeitnehmer in einem strukturschwachen Gebiet in Westdeutschland bei gleicher Tätigkeit und gleichem Gehalt niedrigere Rentenansprüche erwirbt als ein Arbeitnehmer in Ostdeutschland. Sollen diese regionalen Unterschiede wirklich im Rentensystem berücksichtigt werden, ist die Unterteilung nach Ost und West zu grob – selbst eine Differenzierung nach Bundesländern würde nicht ausreichen. Ein regionalisiertes Rentensystem bringt jedoch neue Probleme mit sich – und hier sind nicht nur komplexe Rechenverfahren gemeint. Denn dann wäre konsequenterweise die Frage zu stellen, ob nicht die gesamte Sozialpolitik regionenspezifisch aufgestellt sein müsste, um vermeintliche Ungerechtigkeiten an anderer Stelle zu verhindern.

Belässt man es hingegen bei einer bundesweit einheitlichen Sozialpolitik, ist die Vereinheitlichung des Rentenrechts der folgerichtige Schritt. Inzwischen existieren verschiedene Vorschläge, wie diese zu erreichen wäre (für einen Überblick s. Jansen/Bäcker, 2008, S. 98 ff.; Nagl, 2009; Geyer, 2016, S. 4 ff.). Der jüngste kam im Juli aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und sieht eine vollständige Angleichung bis 2020 vor. Nachteil dieses Modells ist, dass daraus Mehraufwendungen für die Rentenversicherung in Höhe von insgesamt gut 7,5 Milliarden Euro erwachsen, die durch den Bund erstattet werden sollen. Das Bundesministerium der Finanzen hat den Vorschlag daher bereits abgewiesen.

Allerdings muss eine solche Reform nicht zwingend mit einer Ausgabenerhöhung einhergehen. Der Sachverständigenrat (2008, S. 375 ff.) hat bereits vor einigen Jahren ein Modell vorgeschlagen, in dem bestehende Rentenansprüche stabil bleiben. Nur neu erworbene Ansprüche werden unabhängig vom Arbeitsort berechnet. Zwar hat dieses Modell eine lange Übergangsfrist. Umgekehrt gewährt es zum Umstellungszeitpunkt aber Bestandsschutz für alle Rentner sowie für die bereits erworbenen Rentenansprüche und bringt keine zusätzlichen Kosten für die Rentenversicherung mit sich.

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