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Michael Grömling / Thomas Puls IW-Kurzbericht Nr. 69 18. Oktober 2016 Stillstand beim öffentlichen Kapitalstock

Die nominalen Investitionen des Staates in den letzten zehn Jahren haben nicht zu einer realen Verbesserung des staatlichen Kapitalstocks geführt. Vielmehr spiegelt der beachtliche nominale Anstieg beim Nettoanlagevermögen lediglich Preiseffekte wider. Diese können mit Kostenanstiegen, Kapazitätsproblemen und mit mangelhaften Verwaltungsstrukturen erklärt werden.

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Stillstand beim öffentlichen Kapitalstock
Michael Grömling / Thomas Puls IW-Kurzbericht Nr. 69 18. Oktober 2016

Stillstand beim öffentlichen Kapitalstock

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die nominalen Investitionen des Staates in den letzten zehn Jahren haben nicht zu einer realen Verbesserung des staatlichen Kapitalstocks geführt. Vielmehr spiegelt der beachtliche nominale Anstieg beim Nettoanlagevermögen lediglich Preiseffekte wider. Diese können mit Kostenanstiegen, Kapazitätsproblemen und mit mangelhaften Verwaltungsstrukturen erklärt werden.

Die wirtschaftliche Entwicklung hängt von der Qualität der wirtschaftlichen und politischen Institutionen sowie von den gesamtwirtschaftlichen Produktionsfaktoren ab. Neben dem Arbeitseinsatz, der Qualifikation der Arbeitskräfte, dem technologischen Wissen und den natürlichen Ressourcen kommt dem Bestand an Sachkapital eine hohe Bedeutung zu. Dieser Kapitalstock umfasst die Bauten, die Aus–rüstungen und das geistige Eigentum. Dabei wird das Anlagevermögen aller Sektoren berücksichtigt. Auf den Haushaltssektor entfällt wegen der vielzähligen Wohngebäude knapp die Hälfte des gesamten Nettoanlagevermögens. Weitere 37 Prozent entfallen auf den Unternehmenssektor. Der Staat stand 2015 für 14 Prozent des Nettoanlagevermögens. Hierunter fallen öffentliche Bauten und Infrastruktur, mit denen der Staat den Wirtschaftssubjekten eine wichtige Vorleistung zur Verfügung stellt. Auch durch öffentliche Bildungs- und Forschungseinrichtungen unterstützt er den Wachstumsprozess.

Seit geraumer Zeit werden in Deutschland mit Blick auf die Infrastrukturausstattung erhebliche Mängel und Verbesserungspotenziale diagnostiziert (Grömling/Puls, 2014). Dabei wird auch die im Vergleich mit früheren Dekaden schwache Investitionstätigkeit des Staates angeführt. Die Abbildung zeigt allerdings, dass der staatliche Kapitalstock in den vergangenen zehn Jahren auf Basis nominaler Werte deutlich angestiegen ist. Das staatliche Nettoanlagevermögen zu Wiederbeschaffungspreisen lag im Jahr 2015 mit 1.338 Milliarden Euro um 27 Prozent über dem Niveau des Jahres 2005. Das entspricht einem jahresdurchschnittlichen Zuwachs auf Basis der nominalen Werte von immerhin 2,4 Prozent. Nach dem vergleichsweise kräftigen Anstieg – unmittelbar nach der Wiedervereinigung – in den frühen 1990er Jahren war somit nach einer Stagnationsdekade, die von 1995 bis 2005 dauerte, zuletzt wieder ein markanter Aufbau an staatlichem Kapitalstock zu verzeichnen.

Die Abbildung zeigt jedoch auch, dass es beim Blick auf die preisbereinigten Daten zu keiner Veränderung beim staatlichen Kapitalstock seit 2005 kam. Bei der Analyse der Wachstumstreiber kommt es aber letztlich auf die Veränderung des realen Kapitalstocks an. Von staatlicher Seite wurden also die Wachstumsbedingungen in Deutschland im Zeitraum 2005 bis 2015 nicht mehr unterstützt. Vielmehr müssen die Unternehmen hierzulande sogar schon seit 20 Jahren mit einem nahezu unveränderten staatlichen Kapitalstock wirtschaften. Das reale Nettoanlagevermögen der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften war dagegen 2015 um knapp ein Viertel höher als 1995. Der Vergleich der nominalen und realen Entwicklung beim staatlichen Nettoanlagevermögen in denletzten zehn Jahren zeigt: Die nominalen Anstrengungen des Staates – zum Beispiel auch in Form der Konjunkturpakete in den Jahren 2009 und 2010 – haben sich nicht in einem realen Anstieg des Kapitalstocks niedergeschlagen. Vielmehr spiegeln sie lediglich Preiseffekte wider. Um diese Preiseffekte zu verstehen, ist es hilfreich, die Struktur der staatlichen Kapitalstockbildung – nach Vermögensarten und staatlichen Ebenen – zu beachten:

  • 85 Prozent des nominalen Nettoanlagevermögens des Staates entfällt auf die Nichtwohnbauten wie Verkehrswege, Schulen und Verwaltungsgebäude. Auf Ausrüstungen entfallen 7 Prozent, auf Geistiges Eigentum 6 und auf Wohngebäude 2 Prozent. Der Stillstand beim staatlichen Kapitalstock und die hohen Preiseffekte müssen somit im Anlagebereich der Nichtwohnbauten ihre Ursache haben.
  • Über 50 Prozent des staatlichen nominalen Nettoanlagevermögens ist im Besitz der Gemeinden. Auf den Bund entfällt knapp ein Viertel und auf die Länder gut ein Fünftel. Das reale Anlagevermögen von Bund und Länder stieg seit 2005 um gut 10 Prozent oder knapp 14 Prozent an. Bei den Gemeinden zeigt sich ein anderes Bild: Ihr realer Kapitalstock stieg in den 1990er Jahren um insgesamt 10 Prozent an und ging seit der Jahrtausendwende wieder auf das Niveau von 1991 zurück. Seit 2005 schrumpfte er um 7,5 Prozent. Der gesamte Investitionsrückstand der Kommunen wird heute auf 136 Milliarden Euro taxiert (KfW, 2016). Zudem erwarten 26 Prozent der Kommunen, dass sich ihre Investitionsrückstände weiter vergrößern werden, besonders im Bereich der Straßen.

Folgende Erklärungen können für diese Entwicklungen genannt werden:

Kosten- und Kapazitätsprobleme

Anhand der Baupreisindizes des Statistischen Bundesamts kann gezeigt werden, dass die Baupreise seit etwa zehn Jahren anziehen (Statistisches Bundesamt, 2016b). So stieg der Preisindex im Straßenbau nach langjähriger Konstanz seit 2005 um gut 33 Prozent an, was mit der Zunahme des nominalen Kapitalstocks korrespondiert. Der erste Auslöser für die Preissteigerungen waren zunächst höhere Materialkosten. Gerade Stahl und Erdölprodukte (wie zum Beispiel Asphalt) waren bis 2013 für die großen Preisanstiege verantwortlich. Seither haben steigende Lohnkosten die Treiberfunktion übernommen. Auch Kapazitätsprobleme im Bausektor und auf vorgelagerten Stufen – zum Beispiel bei der öffent–lichen und privaten Bauplanung – können die reale Stagnation und die Preiseffekte miterklären. Während es im eigentlichen Bausektor außerhalb hoch spezialisierter Gewerke keine Anzeichen für Kapazitätsprobleme gibt, verdichten sich die Anzeichen, dass sich die Kapazitäten der öffentlichen Bauverwaltungen zum „bottleneck“ entwickeln. Immer komplexere Bauvorschriften treffen hier auf personelle Engpässe. So wurde in den Bauverwaltungen die Anzahl der qualifizierten Bauingenieure reduziert, indem auf Neueinstellungen verzichtet wurde. Eine Folge hiervon ist eine bedenkliche Altersstruktur in den Bauämtern. So ist die Alterskohorte der unter 34-Jährigen unter den Bauingenieuren des öffent–lichen Diensts mit 8 Prozent nur wenig vertreten. Dagegen entfallen unter allen Bauingenieuren 19 Prozent auf diese Alterskohorte. Zudem sind 27 Prozent der Bauingenieure im öffentlichen Dienst älter als 55 Jahre und das Medianalter beträgt 49 Jahre. Das verdeutlicht, dass die Kapazität der Bauämter von einer anstehenden Pensionierungswelle bedroht ist. Erschwerend kommt noch hinzu, dass der öffentliche Dienst derzeit nicht in der Lage ist, konkurrenzfähige Gehälter zu bieten. Deshalb sind viele Stellenausschreibungen ohne Erfolg. So wurden im Landesbetrieb Straßen.NRW im Jahr 2016 insgesamt 105 Ingenieurstellen ausgeschrieben, von denen bis Ende August 40 besetzt werden konnten.

Mangelhafte Strukturen

Es gibt prominente Beispiele dafür, dass staatliche Bauverwaltungen ihren Aufgaben teilweise nicht gewachsen sind. Zu nennen sind etwa der Flughafen Berlin Brandenburg (BER) oder die Kölner Oper. Hier führt offensichtlich eine fachliche Überforderung der Baubehörden zu Kostenexplosionen und trägt somit zum Auseinanderlaufen von nominalen Aufwendungen des Staates und realwirtschaftlichem Ergebnis bei. Neben personellen Engpässen spielen auch ineffiziente Strukturen eine Rolle. Beispiele an dieser Stelle liefern das staatliche Vergaberecht oder die laufende Verschärfung von Planungs- und Bauvorschriften. Dies treibt die Kosten in die Höhe: So wird beispielsweise bei überregionalen Straßenprojekten davon ausgegangen, dass 18 Prozent der Projektsumme für Planungskosten aufzuwenden sind. Während der Hochphase des Straßenbaus in den 1970er Jahren ging man von 3 Prozent aus.

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