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Axel Plünnecke in inter|esse Interview 9. April 2015

Wachstum durch Zuwanderung

Was Arbeitsmigration für uns volkswirtschaftlich bedeutet und was auf diesem Feld politisch noch zu leisten ist, erläutert Axel Plünnecke, Leiter des IW-Kompetenzfelds Bildung, Zuwanderung und Innovation, im Interview mit inter|esse, dem Magazin des Bankenverbands.

Seit 2010 war Deutschland bei der Gewinnung ausländischer Fachkräfte sehr erfolgreich. In diesem Zeitraum konnte durch Zuwanderung der „natürliche“ Bevölkerungsrückgang kompensiert werden. Wird das so weitergehen oder war das nur ein einmaliger Effekt?

Die Zuwanderung der letzten Jahre wurde von einigen Sonderfaktoren begünstigt wie die volle Freizügigkeit der Zuwanderer aus Mittel- und Osteuropa und die steigende Arbeitslosigkeit infolge der Finanzkrise in Südeuropa. Es ist daher zu erwarten, dass die Zuwanderung in den nächsten Jahren wieder etwas abnehmen wird. Zudem ist ein Teil der Wanderung stets temporär. Die zuletzt hohe Bruttozuwanderung könnte in einigen Jahren also auch wieder zu einer höheren Abwanderung führen.

Wie viele Menschen müssten denn zuwandern, um den demografisch bedingten Arbeitskräfterückgang auch längerfristig wett zu machen? Und welche Auswirkungen sind zu erwarten, wenn es nicht dazu kommen sollte?

Dies hängt sehr davon ab, wie gut es uns gelingen wird, die inländischen Potenziale bei Älteren und Frauen noch stärker zu nutzen und die Bildungsarmut zu reduzieren. Doch selbst wenn es hier erhebliche Fortschritte gibt, werden wir eher Zuwanderung in aktuellem Ausmaß benötigen. Mit einer Nettozuwanderung von lediglich 100.000 pro Jahr würden wir in jedem Fall zunehmende Fachkräfteengpässe erleben und Wachstumseinbußen hinnehmen müssen. Gelingt es hingegen, die Nettozuwanderung dauerhaft um weitere 100.000 zu erhöhen, so nimmt die Wachstumsdynamik in Deutschland langfristig um bis zu 0,4 Prozentpunkte zu. Auch die Staatshaushalte würden entlastet. Beides umso mehr, je qualifizierter die Zuwanderer sein werden.

Damit die Zuwanderung den gewünschten Beitrag zum Wachstum leistet, müssen also vor allem qualifizierte Kräfte kommen und solche, an denen es hierzulande mangelt. Welche Qualifikationen werden bei uns in der alternden Gesellschaft besonders gefragt sein?

Aktuell fehlen Fachkräfte vor allem in den Bereichen Technik und Gesundheit – dies sowohl mit beruflichem als auch akademischem Abschluss. Berechnungen bis zum Jahr 2030 zeigen, dass selbst bei einer hohen Zuwanderung in diesen Bereichen Engpässe bestehen bleiben oder weiter zunehmen. Positiv ist, dass unter den erwachsenen Zuwanderern fast ein doppelt so hoher Anteil eine akademische MINT-Qualifikation besitzt, also über eine naturwissenschaftlich-technische Ausbildung verfügt, als in der Gesamtbevölkerung. Durch Zuwanderung steigt folglich auch das Angebot an Ingenieuren.

Die süd- und osteuropäischen Länder werden in naher Zukunft selbst vom demographischen Wandel betroffen sein. Gibt es noch andere Regionen, aus denen Arbeitskräfte künftig vermehrt nach Deutschland kommen könnten?

In der Tat kommen die Zuwanderer bisher vor allem aus den Ländern, die in den kommenden Jahren selbst starken demografischen Veränderungen unterliegen. Daher dürfte die Nettozuwanderung aus diesen Regionen nicht auf dem aktuellen Niveau zu halten sein. Wichtig ist es daher vor allem, Zuwanderer auch aus Regionen zu gewinnen, die ein hohes Qualifikationsniveau und ein hohes Bevölkerungswachstum haben, zum Beispiel aus Indien und Indonesien. Wanderungsentscheidungen hängen wiederum von bestehenden Netzwerken ab. Plakativ formuliert: Inder wandern eher dorthin, wo schon zuvor Inder zugewandert sind. Deutschland muss sich folglich besonders anstrengen, sich in diesen Regionen als Einwanderungsland zu positionieren.

Wie kann Deutschland für qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland noch attraktiver werden?

Zunächst geht es darum, für Deutschland als Einwanderungsland zu werben. Die Internet-Plattform „Make-it-in-Germany“ beispielsweise ist dafür ein wichtiges Instrument und wird vor allem von Personen aus möglichen Zielländern wie Indien und Indonesien besucht. Seit Beginn der Werbemaßnahmen konnten auch besonders viele Zuwanderer in den akademischen MINT-Berufen aus diesen Ländern gewonnen werden. Neben attraktiven Zuwanderungsregeln ist es auch wichtig, dass potenzielle Zuwanderer bereits in ihren Heimatländern die Möglichkeit haben, deutsch zu lernen. Hier leisten die Goethe-Institute und die Auslandschulen einen wichtigen Beitrag. Zentral ist ferner die Zuwanderung über die Hochschulen. Wir wissen aus Untersuchungen, dass diese Zuwanderer ähnlich erfolgreich am Arbeitsmarkt Fuß fassen wie inländische Absolventen.

Gibt es noch größere rechtliche oder auch andere Hindernisse, die die Zuwanderung von Arbeitnehmern behindern?

Ein großer Teil der Hemmnisse besteht in administrativen Hürden. So können die Visa-Verfahren sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Das Problem beginnt häufig schon damit, dass an Zuwanderung Interessierte bis zu zwei Monate warten müssen, bis sie überhaupt einen Termin bei der zuständigen Auslandsvertretung bekommen. Anders als viele andere Länder stellt Deutschland den Bewerbern auch keine Informationen bereit, wie lange das Verfahren typischerweise dauert. Ein weiteres Problem besteht in der kleinteiligen Struktur der Ausländerbehörden, von denen es in jedem Kreis mindestens eine gibt. Das führt dazu, dass die zuständigen Mitarbeiter häufig mit anderen Migrationsformen beschäftigt sind und wenig Expertise bei der Fachkräftezuwanderung haben. Trotzdem entscheidet ihre Rechtsauffassung in vielen Fällen darüber, ob ein Aufenthaltstitel erteilt wird oder nicht. Gerade wenn der rechtliche Rahmen regional unterschiedlich umgesetzt wird, kann das zu Unsicherheit führen.

Was muss zur besseren Integration der Menschen noch getan werden, die oft auch mit ihren Familien nach Deutschland kommen, um hier zu arbeiten?

Bei der Integration von Zuwanderern können wir in den letzten Jahren deutlich Fortschritte erkennen. Der Abstand zu Nichtzuwanderern hat bei Bildungserfolg und Arbeitsmarktzugang abgenommen, und auch die soziale Integration klappt besser. Dennoch bleibt viel zu tun. Zum einen sind zusätzlich Sprachkurse für Zuwanderer auch auf höherem Sprachniveau anzubieten, insbesondere auf dem C1-Niveau, das in der Regel für den Zugang zu einem deutschsprachigen Studiengang vorausgesetzt wird. Zum anderen fehlt es noch an Weiterbildungsangeboten, um notwendige Nachqualifizierungen zu ermöglichen.

Es gibt seit Jahren Diskussionen, ob Deutschland ein Einwanderungsgesetz braucht. Brauchen wir es? Und, wenn ja, was müsste es regeln?

Wir benötigen ein Einwanderungsgesetz, das neben den aktuellen eher nachfrageorientierten Elementen auch ein Mehr an Potenzialzuwanderung ermöglicht. Hochqualifizierte, die besonders gut nach Deutschland passen, könnte der Zugang damit ermöglicht werden, auch wenn kein konkretes der Qualifikation entsprechendes Stellenangebot vorliegt. Viele Einwanderungsländer steuern solch eine angebotsorientierte Zuwanderung über ein Punktesysteme und maximale Zulassungsquoten. Dies könnte auch Deutschland helfen, die Folgen des demografischen Wandels abzufedern.

Wie beurteilen Sie die Chancen, dass ein solches Gesetz bald kommen wird? Ist ein politischer Konsens in der Großen Koalition absehbar?

Schnelle Lösungen sind nicht zu erwarten. Aber Deutschland bekennt sich ja immer klarer dazu, ein Einwanderungsland zu sein. Da wäre es nur konsequent, dem auch in einem Gesetz Ausdruck zu verleihen, die Regelungen weiter zu verbessern und so ein Willkommenssignal für qualifizierte Zuwanderer zu senden. Qualifizierte Zuwanderung stärkt die Wirtschaftskraft und verbessert die Lage der öffentlichen Kassen; sie erhöht den Wohlstand in Deutschland. Hierzu sollte ein Konsens möglich sein.

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