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Christian Rusche IW-Kurzbericht Nr. 15 14. März 2024 Deindustrialisierung: Aktuelle Entwicklungen von Direktinvestitionen

Obwohl sich die Situation bei den Energiekosten nach den Turbulenzen der letzten Jahre wieder etwas entspannt hat, sehen wir weiterhin hohe (Netto-)Abflüsse von Direktinvestitionen aus Deutschland. Das deutet darauf hin, dass die Perspektiven am Standort Deutschland dennoch nicht hinreichend attraktiv sind.

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Aktuelle Entwicklungen von Direktinvestitionen
Christian Rusche IW-Kurzbericht Nr. 15 14. März 2024

Deindustrialisierung: Aktuelle Entwicklungen von Direktinvestitionen

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Obwohl sich die Situation bei den Energiekosten nach den Turbulenzen der letzten Jahre wieder etwas entspannt hat, sehen wir weiterhin hohe (Netto-)Abflüsse von Direktinvestitionen aus Deutschland. Das deutet darauf hin, dass die Perspektiven am Standort Deutschland dennoch nicht hinreichend attraktiv sind.

Am 21. Februar hat das Bundeskabinett seinen Jahreswirtschaftsbericht 2024 (BMWK, 2024) vorgestellt. Bundeswirtschaftsminister Habeck eröffnet sein Geleitwort zum Bericht mit der Feststellung, dass die aktuelle Lage der Wirtschaft „Anlass zur Sorge“ (ebenda, 5) gibt. Die Gründe seien die geopolitische Zeitenwende nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, der dadurch ausgelöste Anstieg der Energiepreise, die übermäßige Bürokratie, der Fachkräftemangel, das Ausbleiben privater Investitionen und die Notwendigkeit zur Modernisierung der Infrastruktur (ebenda, 5f.). Die Unsicherheit, die durch die Regierung ausgelöst wurde, wenn geltende Förderprogramme über Nacht gestoppt und Abgaben erhöht werden, dürfte ebenfalls ein Faktor sein.

Als Folge dieser Herausforderungen wird weiterhin diskutiert, ob eine Deindustrialisierung droht oder bereits im Gange ist. Letzteres legen die Produktionszahlen nahe: Im Dezember 2023 lag die Produktion im Produzierenden Gewerbe bei fallender Tendenz deutlich unter den Vor-Corona Werten und den Vergleichswerten von 2015 (Statistisches Bundesamt, 2024).

Direktinvestitionen

Die Entwicklungen bei Direktinvestitionen können ebenfalls Aufschluss darüber liefern, ob und inwiefern sich verändernde Standortbedingungen auswirken. Dies liegt an der längerfristigen, strategischen Natur von Direktinvestitionen (Rusche, 2023). Vor dem Hintergrund der beispielhaft im Jahreswirtschaftsbericht dargestellten schwierigen Lage soll der vorliegende Kurzbericht zur Diskussion beitragen, indem die Entwicklungen 2023 analysiert werden. Rusche (2023) hat anhand von Direktinvestitionsflüssen gezeigt, dass stark angestiegene Netto-Abflüsse ein Warnsignal für die Standortattraktivität sind. Dazu wurden Daten der OECD verwendet, die anhand einer gemeinsamen Datenerhebungspraxis Vergleiche zwischen den Ländern zuließen. Aktuell liegen seitens der OECD (2023) Daten bis einschließlich dem dritten Quartal 2023 vor. Für Deutschland hat die Deutsche Bundesbank (2024a) bereits Daten für das Gesamtjahr veröffentlicht (Abbildung). Diese weisen in der Regel höhere Zu- und Abflüsse aus als die OECD und damit Rusche (2023). Die Netto-Abflüsse, also die Differenz aus Zu- und Abflüssen, unterscheiden sich hingegen nur in der Währung. Die Dollar-Werte in Rusche (2023) können mittels des durchschnittlichen Wechselkurses des jeweiligen Jahres (Deutsche Bundesbank, 2024b) transformiert werden. Die Rekordabflüsse von rund 132 Mrd. US-Dollars aus Deutschland 2022 entsprechen somit den 125 Mrd. Euro Abfluss, den die Bundesbank für 2022 angibt (Rusche, 2023) und der in der Abbildung dargestellt ist.

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Aktuelle Entwicklungen

Die Abbildung gibt die Zu- und Abflüsse sowie den resultierenden Nettoeffekt (Zuflüsse minus Abflüsse) auf Basis der Bundesbankzahlen (Statistisches Bundesamt, 2024a) wieder. Nach dem Rekordabfluss an Investitionen im Jahr 2022 kann im Jahr 2023 eine Entspannung festgestellt werden, da „nur“ ein Netto-Abfluss von rund 94 Mrd. Euro verzeichnet wurde. Dies ist jedoch der drittgrößte Nettoabfluss überhaupt in der Zeitreihe, die bis 1971 zurückreicht. Platz 1 und Platz 2 belegen die beiden Vorjahre. Diese geballte Häufung an Netto-Abflüssen in den vergangenen Jahren zeigt, dass es sich jeweils nicht nur um Einzelfälle oder Nachholeffekte gehandelt hat, sondern eine tiefergehende Entwicklung vermutet werden kann oder sogar muss. Zudem muss festgestellt werden, dass der Zufluss nach Deutschland deutlich gefallen ist. Lediglich 2014 war er mit rund 14 Mrd. Euro noch niedriger. Nur da die Abflüsse stärker gefallen sind, ist der Netto-Abfluss zurückgegangen.

OECD-Vergleich

Direktinvestitionen sind weltweit rückläufig. Gemäß der OECD (2023) sind in den ersten drei Quartalen die weltweiten Abflüsse um rund fünf Prozent und die Abflüsse aus den OECD-Staaten um elf Prozent gesunken. Bei den Zuflüssen ist weltweit ein Rückgang von 26 Prozent und der OECD von 25 Prozent zu verzeichnen. Somit hat sich die grenzüberschreitende Investitionstätigkeit abgeschwächt. Insbesondere die OECD-Staaten sind davon betroffen. Die EU stellt dabei eine Ausnahme dar: Zwar sind die Abflüsse um fünf Prozent gesunken, die Zuflüsse hingegen stiegen in den ersten neun Monaten des Jahres 2023 um 120 Prozent.

Im Jahr 2022 verzeichnete Deutschland unter den OECD-Staaten die höchsten Abflüsse (Rusche, 2023). In den ersten neun Monate des Jahres 2023 (OECD, 2023) wurde Deutschland von Japan überholt und liegt bei den Netto-Abflüssen nun auf dem zweiten Platz. Aus Japan flossen in den ersten neun Monaten unterm Strich rund 125 Milliarden US-Dollar ab. Aus Deutschland waren es nahezu 81 Milliarden US-Dollar. Dahinter folgen das UK mit rund 79 Milliarden US-Dollar vor der Schweiz mit rund 58 Milliarden. Ein Grund für die hohen Abflüsse aus Japan, neben den von Rusche (2023) genannten, kann in der Zinswende liegen, die in Japan nahezu ausgeblieben ist. Anlagen außerhalb Japans sind somit attraktiv. Für Deutschland kann dies jedoch nicht gelten, da hier mittlerweile sogar risikolos wieder eine positive Realverzinsung möglich ist.    

Wo fließt das Kapital hin?  

Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass Investitionen aus Deutschland vor allem in die Nachbarstaaten fließen. Gemäß der Bundesbank (2024a) haben deutsche Unternehmen 2023 116 Milliarden Euro an Direktinvestitionen im Ausland getätigt. Davon sind rund 61 Milliarden Euro reinvestierte Gewinne, 31 Milliarden Kredite an verbundene Unternehmen und rund 20 Milliarden sind neue Beteiligungen (Übernahmen, Neugründungen). Die deutschen Unternehmen bauen somit ihr bestehendes Geschäft im Ausland weiter aus. Werden die Ländergruppen betrachtet, entfielen allein rund 90 Milliarden Euro auf andere EU-Länder. Insgesamt auf Europa kamen rund 111 Milliarden Euro und auf Asien 21 Milliarden, während rund 17 Milliarden Euro aus den Staaten Nord- und Südamerikas desinvestiert wurden. Nach Ländern wurde mit rund 17 Milliarden Euro am meisten in den Niederlanden investiert. Dahinter folgen Luxemburg (15 Milliarden), Frankreich (13,5), China (10) und Belgien (8). Es muss jedoch beachtet werden, dass Belgien, Irland, Luxemburg, Malta, die Niederlande und Zypern Finanzzentren sind, die eventuell als Zwischenstation für Direktinvestitionen in anderen Staaten dienen (EZB, 57). Dies gilt analog für das Vereinigte Königreich (UK).

Die Rolle bedeutender Finanzplätze muss auch bei den größten Direktinvestoren in Deutschland beachtet werden. Gemäß Bundesbank (2024a) verzeichnete Deutschland 2023 Zuflüsse von rund 22 Milliarden Euro. Rund vier Milliarden wurden an Krediten aus Deutschland zurückgezahlt und circa drei Milliarden Euro an Gewinnen in Deutschland reinvestiert. Mehr als 21 Milliarden Euro entfallen auf die Zunahme von Beteiligungen. In Deutschland werden somit vor allem auf niedrigem Niveau Zukäufe getätigt. Die Betrachtung nach Ländern ist aufgrund der starken Beteiligung der angesprochenen Finanzzentren wenig aussagekräftig. Beispielsweise sind die Forderungen von Investoren aus dem UK um 25,5 Mrd. Euro gestiegen, während Bestände niederländischer Investoren um rund 30 Milliarden gesunken sind. Es liegt nahe, dass Umschichtungen eine Ursache dafür sind, die bei der Betrachtung der Aggregate jedoch nicht bedeutsam sind.

Fazit

Die starke Häufung an Netto-Abflüssen in den vergangenen drei Jahren sowie der drastisch sinkende Zufluss insbesondere aus dem Rest der EU legen dringenden Handlungsbedarf nahe. Die Bundesregierung hat diesen Bedarf ebenfalls erkannt. Nun müssen dieser Erkenntnis Taten folgen, damit die Attraktivität des Standorts Deutschland nicht weiter erodiert. Dazu gehört auch, dass verlässliche, politische Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, die für Planungs- und damit Investitionssicherheit sorgen.

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